»Mariella Mehrs Gedichte haben in der zeitgenössischen Literatur kaum ihresgleichen«, schreibt Kurt Marti, Doyen der schweizerischen Literatur, in seinem Vorwort. »Ihre Heftigkeit, ja Dramatik evozieren in mir Bilder von nächtlichen Eruptionen eines Vulkans, der, aus seinem Innern bislang verborgene Feuergluten emporschleudernd, die Finsternis dieser Welt zerreißt und erleuchtet, unheimlich und schön, blutende Wunde und faszinierendes Wunder zugleich.«

Ušalinake ljumi. Gedichte -- Gila

Mit einem Vorwort von Kurt Marti. Übersetzungen ins Romanes von Mišo Nikolic

»Elementarereignis und große Kunst – die Gedichte der ›Widerwelten‹ sind beides in einem.« (Kurt Marti)

Mariella Mehr, 1947 als Jenische in Zürich geboren, lebt in Italien. 1981 erschien ihr erster, viel beachteter Roman Steinzeit, dem zahlreiche weitere in viele Sprachen übersetzte Bücher folgten, darunter die Romantrilogie Daskind (1995), Brandzauber (1998) und Malik (2001). Der Autorin wurden zahlreiche Literaturpreise sowie das Ehrendoktorat der Universität Basel verliehen, mit dem ihr Engagement bei der Aufdeckung und Aufarbeitung der an Roma bzw. Jenischen begangenen Menschenrechtsverletzungen gewürdigt wurde. Im Drava Verlag erschien 1998 der Gedichtband Nachrichten aus dem Exil.

… Mehrs poetische Sprache erinnert an ihre Prosa, sie wortgewaltig noch steigernd und mit unbändiger Kraft durchdringend. Kompromisslos und schonungslos brüllt und klagt das lyrische Ich gegen die Welt an, heult und lacht es vor flüchtigem Glück. Tief aus den elementaren Quellen der Mythen und Legenden schöpft Mariella Mehr Bilder und Metaphern von Flucht und Vertreibung. Ihre Widerworte bergen die Klage darüber, das Schweigen davor und zu guter Letzt die Hoffnung dagegen ... (Beat Mazenauer, Solothurrner Zeitung)

Tod, nahe geglaubter,
noch einmal schüttelst du
mir die Lichter vom Schlafbaum,
zwingst mich Abschiednehmende
in die Hellnis zurück.
Im Schatten der Wintervögel
riss ich mir Fleisch vom Gebein
und bot es als Abendgabe,
ließ alles Herzzerreißende
im Auge des Meeres zurück.
Den Gott der Weltflüchtigen
bat ich um Stundung,
die Göttin des Scheinbaren
um ihr Geleit.
All die eingesammelten Satzfragmente,
die angehäuften Worte und Wortfetzen,
Silblinge erst, doch schon gebrochen
und unbrauchbar auf dem langen Weg
in die Herzkammern der Morgenröte.
Dort nächtigt die Trauer,
zu Asche gewordene Zeit.