Hunderttausende Flüchtlinge wurden in der 90er Jahren als Strandgut der jugoslawischen Zerfallskriege irgendwo in Europa oder Übersee an Land gespült. Eine von ihnen ist Harija Hrustanoviå, die es in eine beliebige österreichische Kleinstadt verschlägt. In tiefer Verzweiflung steht sie vor dem Scherbenhaufen dessen, was ihr Leben war, bis sie eines Tages beschließt, schreibend aufzubegehren. »Die Bilder ihrer inneren Not wendet sie kühn nach außen, Erlebnisse, die dreißig Jahre zurückliegen, holt sie aus der Vergangenheit herauf und lässt sie beklemmend gegenwärtig werden« schreibt Karl-Markus Gauß in seinem Vorwort. »Aus der Verletzung und dem Zwang, sich zu rechtfertigen, erfindet sie für sich neu, was Schriftsteller, die einst die Moderne begründeten, an erzählerischen Techniken erarbeitet hatten.«

Eine Bosnierin erzählt

»Ich saß am Sandkasten und fing an, einen Kranz aus Löwenzahn zu flechten. Mit diesem Kränzchen begann sich mir in Gedanken ein Faden von Erinnerungen abzuspulen. Mein Leben in Österreich, der Türkei, die Kriegs- und Vorkriegsjahre …«

Hajrija Hrustanoviå, geboren 1958 in Kriæeviåi (Bosnien), arbeitete vor Kriegsausbruch als Gerichtsschreiberin in Zvornik, lebt heute mit ihren beiden Kindern in Salzburg. Als Heimatvertriebene flüchtete sie zunächst in die Türkei und gelangte von dort nach Österreich.

„Erinnerungen sind das einzige, was Hajrija Hrustanovic geblieben sind. Ihr Bosnien existiert nicht mehr. Freunde und Verwandte wurden ermordet. Trotzdem ist nicht vergangen.“ (Clara Fröhlich, WeiberDiwan)
„Lapidar werden Szenen der Erinnerung niedergeschrieben, und diese reihen sich zu einer Chronologie, die nicht von zeitlicher Abfolge, sondern von privater Dringlichkeit bestimmt wird. Hajrija Hrustanovics plastische Bilder wechseln vom Erwachsenenalter in die bosnische Kindheit und wieder zurück in die Gegenwart (…) Hajrija Hrustanovics stille Wut ist zur großen lieterarischen Rechtfertigung geworden.“ (Paul Jandl, NZZ)
„Hajrija Hrustanovic schreibt mit ihrer Biografie Gegenwartsgeschichte. Und wie sie es macht, ist packend und literarisch anspruchsvoll.“ (ORF1)
„Sie findet eine Sprache, die trotzend, aufbegehrend, widerständig die Geschichte einer vertriebenen Bosnierin zu erzählen versteht.“ (Karl Fallend, Die Presse)
„... ein starker, sehr eigenwilliger und dazu literarisch ansprechender Text.“ (Gertraud Steiner, Salzburger Nachrichten)
„Ein gänzlich ehrlicher Text, bar jeder Romantik, der eher Wut denn Rührung aufkommen lässt. Sehr zu empfehlen.“ (Christina Gastager-Repolust, Österreichs BibilothekWerk)
„Ein in mehrfacher Hinsicht verblüffender Text.“ (Edgar Schütz, Falter)

Ohne Tabletten kann ich nicht einschlafen. Ich habe Probleme in der Arbeit. Auch mein Sohn kann nicht einschlafen und fragt mich:
»Mutter, was schreibst du da? Und warum schreibst du in diesen Kalender? Morgen ist der 10. Mai, Muttertag. Ich werde dir einen Block kaufen, dann kannst du deine Geheimnisse aufschreiben. Dieses Büchlein hat auch einen Schlüssel, dann kannst du es versperren, damit niemand deine Geheimnisse lesen kann.«
»Gut, mein Sohn«, antwortete ich. »Kauf mir ein dickes Heft, in dem meine ganze Lebensgeschichte stehen wird. Ich will es auch nicht versperren. Im Gegenteil, ich möchte, dass alle von der Last meines Lebens lesen. Es ist eine Wahrheit, die alle kennen sollen. Fünf Jahre bin ich nun hier mit Besen und Kübel als Putzfrau.«
Also wünschte ich mir, so viele Seiten niederzuschreiben, wie ich früher als Gerichtsschreiberin protokolliert hatte. Bis jetzt habe ich im Leben oft geweint. Deshalb möchte ich von mir erzählen, und zwar die Wahrheit …