Fedia Filkova hat den großen österreichischen Dichterinnen Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann und Friederike Mayröcker ihre Stimme geliehen, um?sie ins Bulgarische zu bringen; das hat sie – die eigene Stimme – gewiss nicht verdorben, sondern gestärkt und geschärft, wie diese erste auf Deutsch erscheinende Auswahl ihrer Gedichte eindrücklich vorführt.
Filkovas Texte sind oft kurz und lapidar, dem Schweigen näher als der Beredsamkeit. Enigmatisch hie und da, meistenteils überdeutlich: wie in ein Höhenlicht getaucht, wo?nicht in hellhöriges Dunkel; angesiedelt auf dem »Grat der Dinge«. Selbstfindung durch Versenkung ebenso wie durch schroffes Neben-sich-Treten. Paradoxien überwiegen; Reinheit der Gefühle ist selten zu haben, doch eine Reinlichkeit der poetischen Handschrift fällt auf. Naturbilder in allegorischer Abstraktion, darin das lyrische Ich umgeht: begehrend, Verschmelzung erinnernd und ersehnend, Einsamkeit zelebrierend. Der Kindheit auf ewig verbunden, todesgewärtig. Ein?besonderer Raum poetischer Andacht – wie ein Allerheiligstes in?diesem Band – gilt der Trauer um den geliebten Mann und Dichtergefährten Nikolai Kantchev (1936–2007).
Von Text zu Text stellt sich überraschende Leichte her, Vergänglichkeit: kleine Skulpturen aus vorübergehend unbewegtem Sand – abgelichtet und aufgegeben, immer wieder neu modelliert und moduliert.

Gedichte

Kleine Skulpturen aus vorübergehend unbewegtem Sand

Fedia Filkova, geb. 1950 in Jablanica, Bulgarien. Studium der Germanistik in Sofia. Lektorin beim Verlag Narodna Kultura (1982–1992); Außenpolitische Beraterin des bulgarischen Staatspräsidenten (1997–2002); Kulturattachée an den Bulgarischen Botschaften in Wien (1992–1995) und Berlin (2005–2008).
Zahlreiche Übersetzungen deutschsprachiger Literatur (Ingeborg Bachmann, Christa Wolf, Ilse Aichinger, Friederike Mayröcker, Ernst Jandl, Michael Ende, Novalis u.?a.). Österreichischer Staatspreis für literarische Übersetzung (1995).
Eigene Lyrikbände: Blumen mit Frauenaugen (1982), Zärtliche Luft (1986), Zeichnungen im Dunkel (1990), Fragile Kreuzigung (2000), Zweites Herz (2009), Meine deine Liebe (2009). Lebt in Sofia.

»Kosmos

Wohin sinken all die Worte,
wenn die letzte Antwort ausbleibt?
Sie versinken in den Flüssen,
die im Kosmos irregehen.
Nur der Vollmond prunkt und schillert,
und sein Licht ist unergründlich.
Ist der Kosmos auch alleine?
Muss er mit sich selber reden?


Unbewegter Sand

Sprung zurück in jene Tage,
als unsere Jugend stillstand am?Kai
und das graue Meer im Dezember
menschenentwöhnt
den Atem anhielt –
Sand, kalt und
starr.

Heute ist der Strand
wie übersät mit
abgelaufenen Sanduhren.


Und keiner, der zum Abschied winkt

Da blutet der Herbst,
Bandagen in prächtigem Purpur.
Da berauscht sich der Wald
am eigenen Blätterfall.

Natur wandert aus.
Vergrämt leuchten ihre Sandalen.

Ahnungslos singt sich die Pappel in Trance.


Das Leben ist immer anderswo

Selten nur ist eine Treppe
derart eng, steil und gefährlich
wie in diesem Fall.
Du gehst sie vor meinen Augen
seelenruhig
nach getaner Arbeit hoch.
Rückblickend ins Atelier
ist es auf dem Bild das Kleid nur,
dass noch zuckt.
Denn der Körper ist woanders.
Wo er ist? Das sag ich
später dir, dreh dich nicht um jetzt,
sieh, da kommt die letzte Stufe.«