In »gebrochenem Deutsch« spricht das lyrische Ich mit dem aufkommenden Tag, und dieser wundert sich. Wie ein roter Faden zieht sich die Erfahrung des Fremdseins, Nicht-dazu-Gehörens und Ausgestoßen-Werdens durch die Dichtung von Ilija Jovanovic. Fast scheint es, diese in unzähligen Varianten durchlebte Erfahrung sei das einzige, worauf Verlass ist. Alles andere – die Momente des Aufgehoben-Seins, das Glück des Einsseins mit sich selbst und der Welt – bleibt prekär, hypothetisch, einer feindseligen Umwelt abgetrotzt. Ob der Autor schreibend in die von Armut geprägte Welt seiner Kindheit zurückkehrt, sich mit den Tücken des Alltags herumschlägt oder sich mit dem nahenden Tod auseinandersetzt, immer erzählen die Gedichte mit feinem Humor und tiefer menschlicher Empathie von der Suche nach seiner selbst im Anderen.
Anknüpfend an Ilija Jovanovics Gedichte und im Dialog mit ihnen hält Elfriede Jelinek in ihrem Nachwort einer auf Fremden- und Minderheitenfeindlichkeit begründeten Gesellschaft den Spiegel vor.

Gedichte.

Neue Gedichte des vor kurzem verstorbenen Roma-Lyrikers Ilija Jovanovic mit einem Nachwort der Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek.

Ilija Jovanovic, geboren 1950 in einer Romasiedlung in Rumska (Serbien). Durch seinen Vater, der als Partisan Lesen und Schreiben gelernt hat, entwickelt er schon als Kind eine Leidenschaft für Literatur, der er lesend und schreibend sein Leben lang treu bleibt. Grund- und Hauptschule, Beschäftigung als Landarbeiter. 1971 Übersiedlung nach Wien, Arbeit in einer Metallfabrik, später in Krankenhäusern als Apothekenlaborant, Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft. Langjähriger Obmann des Romano Centro in Wien. Neben zahlreichen literarischen Publikationen in Zeitschriften und Anthologien erschienen bisher zwei Gedichtband Bündel - Budžo (EYE Verlag 2000) und Vom Wegrand - Dromese rigatar (Drava Verlag 2006). Ilija Jovanovic, der im November 2010 mit dem bedeutenden Exil-Lyrikpreis ausgezeichnet worden war, starb am 25. November 2010 im Alter von 60 Jahren.

»Einen sehr speziellen Aspekt der Roma-Literatur kann man jetzt im schmalen Gedichtband Vom Wegrand des aus der Nähe von Belgrad stammenden und in Wien lebenden Schriftstellers Ilija Jovanovic entdecken. Die magische Beschwörung der Welt durch die Wörter soll in seinen Gedichten wirken, sie sind wie Amulette gegen das Unheil und erfüllen diesen religiös-poetischen Zweck in schöner Ökonomie.« (Paul Jandl in der Neuen Zürcher Zeitung)
In einer sorgfältig gestalteten Ausgabe liegt nun eine Auswahl seiner zweisprachigen Gedichte in Romanes und Deutsch vor. Jovanovic denkt immer wieder über das Aussenseiterum der Roma nach. Aus seiner Jugend in Serbien erinnert sich Jovanovic noch an die "Verachtung", die ihm entgegengebracht wurde und ihm "bis heute in den Knochen streckt". (Ulrich M. Schmid, Neue Zürcher Zeitung)

(...) Die Texte sprechen, durchaus auch mit feinem Humor, über Themen wie das Fremdsein, die vergebliche Siuche nach Heimat, Geborgenheit und Glück sowie von der Vergänglichkeit.(..) (Romano Centro, Heft Nr.70, Juni 2011)

(...)Zauberhafte, berührende Gedichte, die Tiefgang haben. Diese sind aus der Sicht der Roma geschrieben, nicht immer wissend wo die eigene Heimat ist. ZUgehörig zu diesem Volk, wird eine breite Mentalität sehr treffend in einige wenige – aber bedeutsame – Worte gefasst. (www.lesefreunde.homepage24.de)

Auch mit dieser Publikation war der Drava Verlag auf der Leipziger Buchmesse 2011 vertreten: Die Gedichte des serbisch-österreichischen Roma-Dichters Ilija Jovanovic (1950-2010) zeugen von Not und Armut seines Volke, von der Unerwünschtheit der Roma und der damit verbundenen Rastlosigkeit(...). In seiner Lyrik spiegeln sich die Erfahrunngen in einer feindseligen Umwelt wider, von seiner Kindheit bis an sein Sterbebett(...).
(Die Brücke 115/116 April/Mai 2011)

Jedes Mal wenn der Tag
neu geboren wird
und zu wachsen beginnt
spreche ich mit ihm
in meinem gebrochenen
Deutsch.

Voll Verwunderung
schaut er mich an
und fragt
wie redest du?

Svako drom kana o djes
nevo bijandol thaj barol
dav me leja svato
ande mori phaderdi
njamcicko
chib.

Dichel ma
buvljarde jakhenca
thaj puchel ma:
Sar des tu svato?


Meine Heimat
ist dort wo ich bin.

Manchmal ist es ein Berg
eine Blumenwiese
eine Scheune
und manchmal ein Stall
für Pferde oder
Kühe.

Strohgeschmückt
bin ich und
in Spinnweben gehüllt.

An mir klebt
der Geruch
von Pferde- und Kuhmist

Dort bin ich zu Hause.

Moro cherutnipe
si kote kaj sem.

Kana thaj kana si jekh plajin
jekh luludendi bar
jekh šupa
aj kana thaj kana
si e guruvendi thaj
grastendi štala.

Sulumasa thaj
paukose thavenca
vulime sem.

Pe mande si e khand
katar e grastende
thaj guruvende gošnja.

Godothe sem chere.