Liebe beschreibt aus der Perspektive eines heranwachsenden Knaben das Geschehen im besetzten Ljubljana während des Zweiten Weltkriegs. Auch wenn der Roman die Schrecken des Krieges nicht ganz ausblenden kann, ist er im Geist der nostalgischen Erinnerung an das unwiederbringliche Paradies der Kindheit geschrieben und erinnert damit an einige Fellini-Filme.
»Die Anwesenheit und Gewalttätigkeit der Okkupationssoldaten, das Werden des heimischen Widerstands und die Entstehung des bipolaren politischen Raums bei den Slowenen verfolgen wir durch die Augen eines naiven, ideologisch völlig unbelasteten Kindes, das in Zeiten des allgemeinen Hasses dieses Gefühls nicht fähig ist. Im Gegenteil, es ist durchdrungen von neugieriger Offenheit gegenüber allem, was um es herum passiert, und von der Anhänglichkeit an das heimische Umfeld, an Zelena jama, eine der damaligen Arbeitervorstädte Ljubljanas. Diese Offenheit und Anhänglichkeit äußern sich als uneingeschränkte Liebe zu allen Menschen in seiner Lebenswelt, mögen es Freunde, Okkupanten, Angehörige des Partisanenwiderstands und der Revolution oder ihre Gegner und einheimische Verräter sein. Der Geist der Versöhnung, der den Roman durchdringt und existenzielle Fragen vor Fragen der Ideologie stellt, spielte im kulturellen und politischen Leben der Slowenen eine besondere Rolle, weil er in den Achtzigerjahren den Raum für andere Romane öffnete, die Tabuthemen aus der halbvergangenen slowenischen Geschichte nichtideologisch behandelten.« (Tomo Virk)

Roman

Marjan Rožanc’ nostalgischer Tabubruch: Ein eindringliches und folgenreiches Werk der slowenischen Literatur.

Marjan Rožanc, geb.?1930 in Slape bei Ljubljana, gest. 1990 in Ljubljana, Prosaist, Dramatiker, Essayist. Wurde 1951 wegen »feindlicher Propaganda« zu dreieinhalb Jahren verschärfter Haft verurteilt, arbeitete danach als Journalist und freier Autor. Erhielt 1968 wegen einiger Artikel eine Bewährungsstrafe und arbeitete 1974–1981 als Sekretär des Verbands der slowenischen Sportvereine. 1987 war er einer der Autoren der »Beiträge für ein slowenisches nationales Programm« (Nova revija 57). 1991 wurde ihm posthum der Prešeren-Preis für sein Lebenswerk verliehen.

Nun sind überdies die ersten fünf Bände einer Slowenischen Bibliothek" erschienen, die auf immerhin 30 Bände konzipiert ist. Solche Ehre - und Mühe! - wurde bisher nur der polnischen, der tschechischen und der türkischen Literatur zuteil" (Jörg Plath, NZZ, 29.6. 2013)

Und er ging, wie er gekommen war: völlig unerwartet. Er platzte in die Dunkelheit am Gang und ertastete sich selbst den Weg über die Treppe. Schon allein die Tatsache, dass er in der Eile nicht einmal dem Kanari, der recht traurig im Käfig am Tisch hockte, einen liebevollen Blick gönnte, schien mir verdächtig; ich dachte unwillkürlich, dass ihn wahrscheinlich nicht nur die Wohltätigkeit zu mir geführt hatte. Noch mehr aber zerbrach ich mir den Kopf darüber, dass er meinen Vater sehen wollte und sogar noch zu dieser späten Stunde zu ihm ins Krankenhaus aufbrach. Andere Absichten hatten ihn zu mir gebracht und andere Sorgen plagten ihn, vermutete ich, viel tiefere und ernstere. Der Kanari war mehr als offensichtlich nur ein Vorwand gewesen.
Eine gute Stunde, nachdem er gegangen war – ich bedeckte den Käfig und war noch nicht ins Bett gekrochen –, erklangen vom unteren Ende der Zelena jama Schüsse; zuerst vereinzelt, doch dann begann eine regelrechte Ballerei und ein Aufruhr entstand, wie ihn nur die italienische Soldateska verursachen konnte, und er dauerte und dauerte, wollte sich aber wie zum Trotz unserem Haus nicht nähern. Nur eine verirrte Bleikugel schlug in den Putz unseres Hauses irgendwo in der Höhe des Obergeschoßes ein und rutschte schallend die Mauer hinab auf den Gehsteig.
Schon am Morgen wurde auch dieses Rätsel gelöst: Jene verstümmelte Leiche, die in der Nacht vor Semets Geschäft in der Tovarniška ulica liegengeblieben war und der sich die ganze Nacht lang niemand zu nähern gewagt hatte, war die von Papagajcek. Er war zwar schwer zu identifizieren, weil ihn eine italienische Handgranate zerfetzt hatte und weil Stücke seines Körpers sogar am Rollo des Geschäfts klebten, aber es war doch seine, die Leiche von Lenart Bitežnik, genannt Papagajcek.
Doch Papagajcek war nicht von Bezlaj Franc umgebracht worden. Die Italiener selbst hatten ihn umgebracht. Irrtümlich.