Der 1986 erschienene erste Roman des damals 28-jährigen Francic erzählt in vier Abschnitten – Tempo; Heimat, bleiche Mutter; Schattige Zeiten; Blinde Schmetterlinge – und einem kurzen Postskriptum von Außenseitern der slowenischen Gesellschaft im Jugoslawien der späten siebziger Jahre. Die dargestellten Randexistenzen, junge Männer und Frauen aus desolaten Familienverhältnissen, leben mit der gesellschaftlichen Ordnung im Dauerkonflikt und markieren mit ihrem radikalen Individualismus den Widerstand gegen ein System der verbrauchten kollektiven Werte. Ihre Versuche, das Leben in den Griff zu bekommen, scheitern und beschleunigen das Tempo ihrer exzessiven Verweigerung, das in einem eklatanten Widerspruch zum Stillstand der Zeit steht. Die sich gegenseitig umkreisenden Protagonisten binden sich immer enger aneinander, bis sie schließlich mit elementarer Wucht auseinander geschleudert werden: Aleš bringt sich um, Irena verschwindet in geistiger Umnachtung, Franja rettet sich ins Ausland, der durch den Selbstmord des besten Freundes schwer getroffene Ich-Erzähler erhält die Einberufung in die Armee – und erlebt einen Einbruch in die Zeitlosigkeit, einen unentrinnbaren Albtraum von Schlaflosigkeit, Angst und der bleiernen Angst vor der Angst.
Mehrfacher Sprachwechsel kennzeichnet den auf die Filme »Deutschland, bleiche Mutter« und »Die bleierne Zeit« verweisenden Roman, der in Slowenien bereits als Klassiker der urbanen Prosa gilt.

Roman

Ein hervorragendes Beispiel urbaner Prosa, ein Klassiker der slowenischen Gegenwartsliteratur.

Franjo Francic, geboren 1958 in Vodmat, Ljubljana, freier Schriftsteller, diplomierter Sozialarbeiter, Bauer; lebt heute in Piran; Autor von Kurzprosa, Romanen, Märchen, Hörspielen, Dramen. Veröffentlichungen (Auswahl): Ego trip (1984); Domovina, bleda mati (1986); NE (1986); Rosa (1990); Istra gea mea (1993); Poševni stolp v Pisi (1995); Dobro jutro, Charles Bukowski! (1998); in drugi (2001); Hvalnica soncnicam (2002).

... Franjo Francic folgt den literarischen Spuren von Lojze Kovacic (...), doch ist in diesem Nachfolgen eine derart explosive, ursprüngliche und unwiederholbare Kraft des Sezierens enthalten, dass es nur eine strukturelle Verbindung gibt, keine inhaltliche. Franjo Francic ist keiner, der nach-, um- oder anbaut. Er errichtet alles neu, aus seiner eigenen Welt heraus, aus ihren Gegenständen, Schatten und Träumen ...
(Denis Poniž im Nachwort zur Originalausgabe 1986)

Es waren die Zeiten der glücklichen Besäufnisse.
Vielleicht war Morgen, vielleicht Abend, in meinem Fünfzehnerzimmer war immer Nacht. Die kleine Fensterscheibe war so dreckig, dass in dem Raum kein Tageslicht war, wie in einem U-Boot.
Da drin war alles, was ein Typ benötigt, der nichts benötigt. Zwei Bretter mit Büchern, ungelesene Skripten und Vorlesungsmitschriften, vernudeltes schmutziges Bettzeug, Champignons an den feuchten Wänden, ein Kanonenofen und ein Berg leerer Flaschen.
Ich hatte ein halbes Jahr nicht gevögelt, molk mir nur dann und wann einen ab, um nicht den Dreizehnjährigen und alten Mamas an die Wäsche zu gehen. Ich verschmerzte das Ende der großen Liebe, seufzte beim Anblick der gemeinsamen Fotos mit meiner Ex und soff mich fleißig mit Obstler voll. Es war Zeitlosigkeit, nicht Depression.
Ich schlief zwölf, fünfzehn Stunden und mehr am Tag. Indem ich ein Drittel meines Stipendiums fürs Zimmer ablegte, investierte ich die restlichen zwei in flüssige Nahrung, sodass es irgendwie ging. Ich war fest überzeugt, dass sich meine Ex einen neuen Typen gefunden hatte, der um hundert Prozent schlechter war als ich. Aber ich musste aus meinem Loch kriechen, mir einen Job beim Studentenservice finden, musste Kohle verdienen, fürs alte, gute Tempo.
Die Fak hatte ich abgeschrieben, eigentlich hatten sie mich abgeschrieben. Nichts Erschütterndes, aus mir wäre so oder so nie ein guter Heimpädagoge geworden, aber irgendeinen Titel hätte ich mir auf den idiotischen Vorlesungen unseres elenden und verkümmerten Schulsystems schon erworben. Dass ich den ersten Abschnitt fertig gemacht und mir die noch mitleidigere Anrede eines Sozialarbeiters erkämpft hatte, war mehr Zufall als Wunsch. Ich hatte ihn aus Trotz gemacht, auch für das Papier, um damit denen, die mich vor vielen Jahren abgeschrieben hatten, vor der Fresse herumwedeln zu können.
Übrigens war die Sozialfürsorge keine ernstzunehmende Schule, hier wurde öffentlich verarscht und der Zaster des Proletariats verprasst. So hatte ich zehn Fächer absolviert, die sich mit unserem traurig lächerlichen System, seinen Herzkammern, Krampfadern und inneren Krankheiten befassten.