Die Gedichte von Michèle Najlis, einer der wichtigsten weiblichen Stimmen der neuen nicaraguanischen Literatur, stellen intime Bekenntnisse dar, geben Aufschluss über den Prozess des »desencanto«, der Entzauberung, die sich mit feministischer und politischer Bewusstwerdung verbindet. Der Iphigeniemythos wird zum Sinnbild einer (nicht nur) den Frauen von alters her auferlegten Opfermystik, die die Benachteiligten dazu bringt, selbst an ihrer Entrechtung mitzuwirken.

Spanisch-deutsche Ausgabe

Michèle Najlis ... eine außergewöhnliche Stimme in der (männlich dominierten) Polyphonie der nicaraguanischen Literatur.

Michèle Najlis, geb. 1946 in Granada, Nicaragua. Dichterin, Erzählerin, Journalistin. Publikationen: El viento armado (Gedichte, 1969); Augurios (Gedichte und Erzählungen, 1980); Ars Combinatoria (Kurzprosa, 1989); Caminos de la Estrella Polar (Journalistische Schriften, 1990); Cantos de Ifigenia (Gedichte, 1991).

IPHIGENIES HOCHZEIT

Festen Schrittes ersteige ich
den Opferaltar.
Den Altar des Todes, den ich mir wählte
mit Würde.

Der Wind bauscht sanft das Brautgewand
und bewegt die weißen Blüten, die mein Haupt krönen.

Mein Herz bewegt sich ängstlich.
Nur die Götter sahen mich
– als ich meinen Hals über den Stein beugte –
die einzige Träne verbergen
vorsichtig
vor den Soldaten.