Boris Dežulovic lässt die in der Heimatidylle verwurzelten Täter zu Wort kommen, die Folterer und Mörder in dem Militärgefägnis Lora nahe Split, wo kroatische Militärpolizisten serbische Mitbürger um die Gesundheit oder sogar zu Tode brachten. Diese Bilder aus der Vorstadt sind der Versuch, ihre Mentalität zu sezieren und die ans Naive grenzende Selbstgerechtigkeit in der sogenannten bürgerlichen Öffentlichkeit bloßzustellen. Ein schockierendes Zeitzeugnis, den Tätern in den Mund gelegt.
Zehn Jahre sind seit dem Krieg vergangen, die richtige Zeit darüber zu reden war damals. Aber neue Generationen, die den Krieg nicht erlebt haben, können sich damit beschäftigen, wenn wir schon zu bequem oder feige waren. (Boris Dežulovic)
Im Militärgefängis von Lora nahe Split waren während des Krieges hauptsächlich serbische Einwohner von Split sowie serbische und montenegrinische Krieggefangene inhaftiert. Sie waren dort verschiedensten Formen der Gewalt und Folterungen ausgesetzt. Viele wurden getötet.
„Im März 2006 endete vor dem Bezirksgericht von Split das Wiederaufnahmeverfahren gegen acht ehemalige Angehörige der kroatischen Militärpolizei mit Schuldsprüchen. Die acht waren angeklagt, 1992 im Lora-Militärgefängnis in Split nicht-kroatische Häftlinge gefoltert und ermordet zu haben. Gegen vier der Angeklagten wurde in Abwesenheit verhandelt, die sich Ende 2006 noch immer auf freiem Fuß befanden. In einem ersten Prozess im Jahr 2002 waren die einstigen Militärpolizisten allesamt freigesprochen worden, doch hatte der Oberste Gerichtshof die Freisprüche später aufgehoben“ (amnesty international).

Boris Dežulovic
Boris Dežulovic. Erzähler, Autor von satyrischen Gedichten und Zeitungskolummnist, einer der drei Gründer der Wochenzeitung »Feral Tribune«. Geboren 1964 in Split. Nach Abschluss des Studiums der Kunstgeschichte zeichnete er Comics und Illustrationen und spielte Bassgitarre in ener Punkband. Mitbegründer des Alternativtheaters »Epcentar«, in dem er Schauspieler, Bühnenbildner, Phyrrotechnker, Kasskadeur, Hilfsarbeiter und Rausschmeisser war. Kolummnist des Magazins »Globus« (Zagreb). Vielfach ausgezeichnet als Journalist und Buchautor. Mitherausgeber (mit Viktor Ivancic u. Predrag Lucic) von »Greatest shits«. Anthologie der kroatischen Dummheit (1999). Lebt in Split.
Christkind. Roman. Durieux, Zagreb 2003. Preis der Zeitung Jutarnji list als bestes Prosawerk des Jahres 2004. In Italienisch bei Libri Scheiwiller, Mailand 2007. Pjesme iz Lore, Durieux, Zagreb 2005. Preis des Kroatischen Helsinki-Kommittees für Menschenrechte. In Serbien beim Verlag Rende, Belgrad 2007. Jebo sad hiljadu dinara (Nun sind tausend Dinar am Arsch), Roman. EPH, Zagreb 2005.

Das Grauen des Krieges in lyrischer Form vorzuführen, ist ein Balanceakt. Einerseits läuft der Autor Gefahr, die Gewalt zu ästhetisieren. Auf der anderen Seite droht ihm die Bedeutungslosigkeit moralischer Belehrung - einem Augenblick der Empörung folgt dauernde Gleichgültigkeit.
In seinen „Gedichten aus Lora", die jetzt auf Deutsch im Klagenfurter Drava Verlag vorliegen, ist dem kroatischen Autor Boris Dežulovic der Balanceakt eindrucksvoll gelungen. Mit quälender Genauigkeit und rücksichtsloser Einfühlung spiegelt Dežulovic die mentale Verfassung von Kriegern und anderen Gewalttätern. Dežulovic macht sich deren Sprachgebaren zueigen und seziert so die entsprechende Gedanken- und Gefühlswelt.
In Gestalt seines lyrischen Ichs ergötzt er sich daran, wie ein serbischer Gefangener nach allen möglichen Misshandlungen gezwungen wird, mit ausgeschlagenen Zähnen die kroatische Nationalhymne zu intonieren. Dieses Ich rechtfertigt den Mord an einem Kind mit dem Argument, ohne seine bereits getöteten Eltern wäre es ohnehin niemals glücklich geworden. Oder es empfindet kindliche Freude angesichts eines Grundig-Fernsehers, der vor nun schon zehn Jahren aus einem serbischen Haus geraubt wurde und - deutscher Gründlichkeit sei Dank - immer noch funktioniert. (Deutschlandradio Kultur)

Die Grube

Sie sah mich an wie soll ich dir sagen
wie das kleine Wildschwein
das wir diesen Sommer
in der Lika geschossen haben
verdammte Scheiße dieselben Augen
derselbe Blick
nicht mich ansehen
runter in die Grube sehen
ich drehte den Kopf
ich sagte zu ihr
eigentlich mehr zu mir selbst
ich sagte
faktisch
tue ich ein gutes Werk
verdammt nochmal
denn
scheiß auf so ein Leben
ohne Vater und
Mutter

Auch heute noch
kommt sie mir manchmal im Traum
verdammter Scheiß dieselben Augen
derselbe Blick
und lacht
und sagt
eigentlich mehr zu sich
sie sagt

Danke