Mit seinem von der Literaturkritik zum »slowenischen Jahrhundertroman« gekürten Opus magnum kehrt Lojze Kovacic zurück ins Jahr 1938, als er im Kindesalter mit seiner Familie aus der Schweiz nach Slowenien ausgewiesen wird - »ein Heimattausch, vom Mutterland in den Vaterstaat«. Aus der subjektiven Optik des Heranwachsenden und zugleich aus der Distanz eines halben Jahrhunderts protokolliert er in beinahe atemlosem Stakkato die dramatischen Jahre unmittelbar vor und während des Krieges, in deren Malstrom die Familie gerät.
»Du konntest dich anpassen oder auch nicht, du konntest den Mechanismus verstehen oder blind sein, die Wahrheit ist, dass wir wie ein Strohhalm, Ästchen oder Rindenstück mit dem Strom über Querwände und Staudämme in die Flut zwischen den Hügeln weggetrieben wurden.« (Lojze Kovacic, Der Standard, 8. 11. 2003).
Mit dem bald sezierenden, bald empathischen Blick des 'Zugereisten' erfasst er, dem das Schreiben zur Überlebensstrategie wird, das scheinbar nebensächliche Detail, die eigene Ambivalenz in einer zwiespältigen, von Ideologien verwalteten Zeit. Aus dieser Zwischenperspektive, gelegentlich sogar von der slowenischen in die deutsche Sprache wechselnd, gelingt ihm die ›dichte Beschreibung‹ einer widersprüchlichen Epoche, deren Nachbeben noch immer zu spüren sind.
Teil I seiner 1984/85 erschienenen Romantrilogie Prišleki (Die Zugereisten) umfasst den Zeitabschnitt von 1938 bis 1941.

Roman

Zum besten slowenischen Roman des 20. Jahrhunderts gekürt: die Irrfahrt eines
Kindes zwischen Ländern, Sprachen und ideologischen Fronten.
Auf Platz 1 der ORF-Bestenliste im August 2004

Lojze Kovacic, geboren 1928 in Basel als Sohn eines slowenischen Vaters und einer deutschen Mutter, mit denen er 1938 aus der Schweiz nach Slowenien ausgewiesen wurde. Kovacics gesamtes Erzählwerk, zahlreiche mosaikartig gefügte Romane und Novellen, kreist um das Schicksal seiner entwurzelten, verstoßenen und durch die politischen Ereignisse auseinander gerissenen Familie, in der sich die Jahre vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg spiegeln. Das Literaturfestival in Vilenica ehrte Lojze Kovacic, der ab 1997 außerordentliches Mitglied der Slowenischen Akademie der Wissenschaft und Kunst war, im Jahr 2001 als einen der bedeutendsten Romanciers der slowenischen Moderne. Sein letztes Buch "Otroške stvari" erschien 2003. Am 1. Mai 2004 starb der Autor in Ljubljana.

... Lojze Kovacic ist eine Entdeckung erster Güte. An Tragik und Tiefe, an erzählerischer Dichte und sprachlicher Kraft können es "Die Zugereisten" mit den großen Erinnerungsbüchern des europäischen Ostens von Péter Nádas über Danilo Kiš und Ismael Kadaré bis Czeslaw Milosz aufnehmen ... (Andreas Breitenstein, Neue Zürcher Zeitung) Lojze Kovacic, geboren 1928 in Basel als Sohn eines slowenischen Vaters und einer deutschen Mutter, mit denen er 1938 aus der Schweiz nach Slowenien ausgewiesen wurde. Kovacics gesamtes Erzählwerk, zahlreiche mosaikartig gefügte Romane und Novellen, kreist um das Schicksal seiner entwurzelten, verstoßenen und durch die politischen Ereignisse auseinander gerissenen Familie, in der sich das Geschehen eines Jahrhunderts spiegel. Das Literaturfestival in Vilenica ehrte Lojze Kovacic, der seit 1997 außerordentliches Mitglied der Slowenischen Akademie der Wissenschaft und Kunst war, im Jahr 2001 als einen der bedeutendsten Romanciers der slowenischen Moderne. Sein letztes Buch "Otroški stvari" erschien 2003. Am 1. Mai 2004 starb der Autor in Ljubljana.
... Selten ist von Entwurzelung und Aufbegehren, von Verzweiflung und Trotz so eindringlich geschrieben worden wie in dieser Chronik, die tatsächlich ein großer europäischer "Roman des 20. Jahrhunderts" ist ... (Karl-Markus Gauß, Die Zeit)
... "Die Zugereisten" ist ein Jahrhundertbuch, wovon sich nun auch die deutschen Leser überzeugen können ... (Jörg Plath, Süddeutsche Zeitung)
... Bücher wie diese führen jedwede Literatur-Kanonisierung ad absurdum, dieser Roman sollte in den literarischen Bestenlisten jüngeren Datums umgehend einen Spitzenplatz einnehmen ... (Wolfgang Paterno, Profil)
... Eine Chronik nennt Kovacic seinen Roman. Aus Teilen, Facetten, immer wechselnder Szenerie setzt sich die Erinnerung Lojzeks zusammen. Politik kommt am Anfang nur am Rande vor. Aber das Geschehen verdichtet sich und baut sich immer bedrohlicher auf ... (Claudia Toll, NDR)
... Zweifellos und nach einhelliger Meinung einer der besten Nachkriegsprosaisten Sloweniens ... (Matej Bogataj, Der Standard)
... Als Anfang Mai der Tod des Autors Lojze Kovacic bekannt wurde, war dies nur wenigen Medien eine Kurzmeldung wert. Der vom Drava Verlag endlich auf Deutsch herausgebrachte erste Band seiner Romantrilogie "Die Zugereisten", der von dem 75-jährigen schwer kranken Mann noch selbst Korrektur gelesen werden konnte, zeigt, wie sehr die Bedeutung des slowenischen Erzählers im deutschsprachigen Raum bisher unterschätzt wurde ... (Wolfgang Huber-Lang, APA)
... Bücher, denen der Ruf vorauseilt, Jahrhundertbücher zu sein, provozieren ganz besondere Erwartungen ihrer potenziellen Leser: "Die Zugereisten" halten dieser Erwartungshaltung stand. Sie verdichten die Erfahrung ideologischer, nationaler und familiärer Bruchlinien zum Gesamteindruck einer Epoche ... (Bernhard Fetz, Ö1 Ex Libris)
... Man kann schon jetzt auf die folgenden Teile dieser autobiographischen Trilogie gespannt sein ... (Reinhard Lauer, FAZ)


Viele glaubten, dass die Deutschen auch nach Ljubljana kommen würden. In Unterkrain trugen die Bauern eine Tafel mit »Da Deutsches Reich« von Dorf zu Dorf ... fast bis Kroatien ... Alle wollten unter dem Großen Reich leben ... keiner unter den Polentafressern. Mit Lastwagen fuhren die Italiener Fahnen aus, von Straße zu Straße ... Frau Hamann, die deutsche Fahnen ausgeteilt und befohlen hatte, sie aus jedem Fenster zu hängen, war deprimiert und übel gelaunt. Auch die beiden Herren waren düster gestimmt. Ihr Haus war eines der wenigen in einer ganzen Reihe von Häusern, das sich nicht in den Konditorfarben der italienischen Fahnen badete, sondern die todernste rote Fahne mit dem schwarzen Doppelgalgen im weißen Kreis trug ... das Banner des Sturmangriffs, der Disziplin, des Krieges, des Todes ... ein Kreuz mit vier Beinen, das wie eine Luftschraube alles vor sich zermalmt, was ihm in den Weg kommt ... Ich fühlte vage, dass es einen leisen Unterschied gab in der Kameradschaft von Italienern und Deutschen ... ich begriff den Unterschied gut, und die Deutschen taten mir Leid, weil sie vermutlich ausgespielt worden waren ... Die italienische Musik zog über den Stadtplatz und vom Napoleondenkmal zurück zum Kasino. Sie spielten die Giovinezza ... Der Tambourmajor warf seinen Stab mit dem Silberknauf hoch bis zum ersten Stock ... Die Menschen standen Spalier, lachten, klatschten fröhlich überrascht ... »Buon giorno, coccolo!« rief ein Bursche ... Elegante italienische Offiziere und ihre Frauen kauften in den Geschäften ein ... Zivilisten in geckenhaften Kleidern, mit Stecktüchern in der Brusttasche gingen zu zweit und zu dritt. Es waren Detektive, questurini ... Soldaten in schwarzen Hemden und Kappen mit Pompons aus Mussolinis Division der arditi ... Ungewöhnlich waren die Uniformen der Honved-Offiziere: statt der Knöpfe hatten sie Holzhäkchen, auf der Brust Ösen und auf dem Kopf runde Kappen mit Federn ... Die Carabinieri trugen Napoleonhüte ... Die Deutschen in ihren wie angegossen knappen Uniformen waren die Einzigen, die richtigen Kämpfern ähnlich sahen ... Die italienischen Soldaten waren inmitten der ernsten Stadt voller Bücher und gebildeter Menschen wie Clowns ... Sie weckten das Interesse der Frauen. Sie verteilten Geschenke, und in der Nähe von Lokalen zogen sie die Kappen ... »Che bella biondina!« ... »Che bella signorina!« ... Sie schickten Küsschen aus den Lastwagen, so dass sie manchmal sogar herunterfielen ... Sie hielten Mädchenschwärme an und umtanzten sie in ihren schlaffen Kniebundhosen, die einen Stan Laurel ähnlich, die anderen Ollie Hardy ... Den Mädchen gefiel das ... sie lachten den Italienern zu ... solche Soldaten hatten sie ihr Lebtag noch nicht gesehen ... sie kehrten ihnen den Rücken zu und lachten, dass ihnen die Tränen kamen ... In der Stadt ... in den Haustoren, Winkeln, Geschäften waren die unterschiedlichsten Fremdsprachen zu hören ... ein richtiges Babylon, wie in Basel ... Die ganze Welt war auf Ljubljana eingestürzt ... Das machte mich froh, und ich konnte aufatmen ... Die Leute, Altwarenhändler, Dienstmänner, die Frauen, Prinœiœs Mama, die Mutter von Andrej, der Schuhputzer Asipi ... sie staunten, bewunderten, steckten an den Ecken die Köpfe zusammen und schrien sich zu über die Straße voller Ausländer in den unterschiedlichsten Uniformen. Die Stadt verwandelte sich in einen Treffpunkt, eine Hauptstadt ganz anderer Art ... Auf den Schaufensterscheiben tauchten Bilder auf von König Emanuele und dem Duce mit Helm. Neues Geld war im Umlauf, Lire. Aber das Brot, das wir in der Bäckerei Pod tranco kauften, taugte nichts. Wie zerkochtes Mehl, verbrannter Mais. Die Semmel brach an der Furche. Und wenn du sie nach Hause gebracht hattest, waren im Zecker nur klebrige Polentakrümel ...