Monroe Price ist Universitätsprofessor, Jurist und Medienwissenschafter von Weltrang, Amerikaner aus jüdischer Familie. Geboren 1938 in Wien, kein Dokument, auf dem das nicht vermerkt wäre - wie das untilgbare Relikt einer Zeit, an die er keine Erinnerung hat.

Doch dann, als Österreich ehemaligen Emigranten nach 60 Jahren den Erwerb der Doppelstaatsbürgerschaft ermöglicht, lässt er sich darauf ein - ohne zu ahnen, dass es der Anfang eines Prozesses ist, in dem er versuchen wird, Klarheit über sich und die widersprüchlichen Lebenswelten, die ihn prägen, zu gewinnen. Er will wissen, was mit seiner Familie war und mit denen, die es, anders als seine Eltern, nicht geschafft hatten, "rechtzeitig" zu flüchten. Wie er selbst zu dem geworden ist, der er ist. Und was gewesen wäre, wenn ... Will wissen, was er mit diesem Österreich zu tun hat oder dieses Österreich mit ihm. Er macht sich auf die Reise. Sie wird zu einer fesselnden Spurensuche, Selbsterforschung und Erkundung jenes fremden Landes, aus dem er gebürtig ist.

Versuch einer Annäherung

Monroe Price nimmt uns mit auf eine Reise auf den Spuren seiner jüdischen Familie, in ein Land, das lebenslänglich das seiner Geburt bleiben wird.

Monroe E. Price: Studium der Rechtswissenschaft in Yale. Akademische Laufbahn als Jurist (u. a. als Berater für die indianische Urbevölkerung), später auch in der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Lebt heute in New York, ist Professor und ehemaliger Dekan an der New Yorker Yeshiva Universität sowie Leiter der Project in Global Communication Studies an der Universität von Pennsylvania. Zu seinen bekanntesten Werken der letzten Jahre gehört Media and Sovereignty: The Global Information Revolution and Its Challenge to State Power (MIT Press, 2002).

Unsere Vitrine, dieses Schränkchen mit der gläsernen Front, das in einer dieser in der Taborstraße gepackten heiligen Kisten aus Wien gekommen war, erfüllte bei uns den Zweck eines Schreins der Andenken. Die Vitrine ist ein großes, über 1,80 Meter hohes Möbelstück im Biedermeierstil, das aus dem 19. Jahrhundert stammt und aus hellem und dunklem Mahagoniholz besteht. Sie ist ein Stück Wien, kein Memento, mehr ein Kubikmeter Wiener Erde, oder, um es metaphorisch auszudrücken, die Spitze eines Eisbergs an Erinnerungen in unserem Wohnzimmer. Sie beinhaltete immer eine geheimnisvolle Sammlung von Sachen, die ein Leben repräsentierten, das in die Vergangenheit eingepackt worden war, ein Leben mit Silbertabletts, Kristallvasen, Porzellanfiguren und zierlichen Mokkatassen und Milchkännchen. In die dunkle Vitrine gepfercht erfüllten sie eine geheime Funktion als Erinnerung an, Investition in, Versprechen von und Anzeichen für ein besseres Leben in der Vergangenheit und in der Zukunft. In unserer unsicheren Welt stellten die Vitrine und ihr Inhalt eine gewisse konstante Größe dar. Die Wohnung mochte gewechselt werden, sogar die Stadt, der Bezirk und das Land. Der Kühlschrank mochte moderner werden. Ein Fernseher mit Bildern von überall mochte auftauchen. Ich mochte älter werden, eine Schwester bekommen und mich im Verhältnis zur Nachbarschaft verändern. Doch die Vitrine harrte aus. Von Zeit zu Zeit wurden Gegenstände zu besonderen Anlässen herausgenommen. Unerklärlicherweise kippten kleine Stücke um oder wechselten ihren Platz. Doch die Gesamtheit, die Anordnung blieb, wie sie war. Sie verkörperte eine Welt mit anderen Gewohnheiten, anderen Eigenschaften, und insbesondere die Tatsache, dass es eine andere Welt gegeben hatte. Und sie war der Beweis dafür, dass meine Eltern dieser Welt angehört hatten. Die Vitrine war mein erstes Museum.