Die Erzählung Nina verknüpft – in ständigem Wechsel der Erzählebenen – Cankars Wiener Großstadtthematik mit den Erinnerungen eines Ich-Erzählers, der sich von Kind auf als Ausgestoßener erlebt. Die sechs Nächte, in denen er seiner sterbenden Kindfrau das Leben entwirft, sind ein erschütterndes Zeugnis der Zärtlichkeit inmitten einer zynischen Welt. Das »uralte Märchen« Kurent erzählt von einer mythologischen Gestalt, die die Ekstasen und Orgien eines fatalistischen Volkes begleitet, das sich für langes Dulden an kurzer Freude berauscht. Das Cankarsche Thema der unerfüllbaren Sehnsucht ist hier zum Symbol des kollektiven Erlebens gesteigert.

Zwei Erzählungen

(Bd. 6 der Cankar Werkausgabe)

Eine zärtlich-verzweifelte Liebesgeschichte und ein Märchen von dionysischer Kraft – zwei Meisterwerke
der slowenischen literarischen Moderne.

Ivan Cankar, geboren 1876 in Vrhnika (Slowenien), lebte als Schriftsteller in Slowenien und in Wien-Ottakring. Er hinterließ nach seinem Tod im Jahr 1918 ein 30-bändiges Gesamtwerk.

... mit neunzigjähriger Verspätung erstmals auch auf Deutsch zu lesen. Es gibt also gar keine Ausrede mehr, diesen großen europäischen Dichter nicht zu kennen ... (Karl-Markus Gauß, Frankfurter Allgemeine Zeitung)

... Wir bringen uns mit unserem kolonisierten Blick um bedeutsame Leseabenteuer. Nützen wir die Chance der guten Übersetzungen bei Drava ... (Anton Thuswaldner, Salzburger Nachrichten)

... Und mit jedem Band wird deutlicher, worin die herausragende Bedeutung dieses Klassikers der slowenischen literarischen Moderne besteht ... (Ilma Rakusa, Neue Zürcher Zeitung)

... Man hat in bezug auf sein Werk von "Klangbildern" gesprochen, die er beim Schreiben im Ohr gehabt haben müsse, Bilder, die "wie bunte Steine auf schwarzem Grund leuchten". Er hat Prosa geschrieben, die vom ersten bis zum letzten Satz duchrchkomponiert ist ... (Marica Bodrozic, Sender Freies Berlin)

Erwin Köstler erhielt den Österreichischen Staatspreis 1999 für literarische Übersetzung. Aus der Begründung:
... Erwin Köstler, geboren 1964, hat sich mit der Übersetzung der Werkausgabe von Ivan Cankar aus dem Slowenischen besondere Verdienste erworben. Seinem Engagement ist es zu verdanken, daß der bedeutendste Vertreter der slowenischen Moderne, der viele Jahre in Wien verbracht hat, nun auch im deutschen Sprachraum einem breiten Lesepublikum zugänglich gemacht wird ...

... Ein Teil Weltliteratur war damit wiederentdeckt ... (Kleine Zeitung)

... Kurent war ein armer Hund, dass es selbst in diesem Land der armen Hunde nicht seinesgleichen gab. Er ward empfangen bei Wein und wildem Vergnügen, geboren aber in Gram und den schlimmsten Nöten. Als die Mutter das weinerliche Wurm erblickte, brach sogar sie in Tränen aus. »Es wird ja nicht leben!« sprachen die Nachbarinnen. »Wenn es nur wahr ist!«
seufzte die Mutter. Das weinerliche Wurm aber lebte, und sie tauften es auf den Namen Kurent.
Kaum lernte Kurent laufen, war schon zu sehen, dass er zu nichts in der Welt zu gebrauchen war. Statt auf allen Vieren im Schlamm zu stapfen oder sich im Staub zu wälzen wie die anderen getauften Kinder, saß er auf dem Ofen, glotzte in die Gegend und lutschte an seinem rechten Daumen, bis man ihm einen Lappen darüber band. Er wuchs sehr langsam, und Speck setzte er erst gar keinen an; einzig sein Haar spross so wunderbar rasch, dass die Mutter es schließlich zu einem Schopf auf dem Scheitel zusammenfasste; weil er damals noch ein Röckchen trug, glich er ganz einem blässlichen Mädchen. »Pfarrer wird er, sonst taugt er zu nichts!« sprachen die Nachbarinnen; die Mutter aber war hocherfreut in ihrem Herzen.