Als Handlungsraum für seinen vierten Roman hat Sebastijan Pregelj Triest und das Triestiner Umland gewählt. Vom historischen Glanz des einstigen Emporiums ist hier nichts zu spüren, sehr viel aber von den sozialen Widersprüchen, von Willkür und Fremdenhass und vom täglichen Kampf um die Existenz, die diese Gesellschaft und ihre Akteure prägen. Dazu kommt das historisch belastete Verhältnis zwischen Italienern und Slowenen, das es schwer macht, überkommene Nationalismen hinter sich zu lassen. Die bevorzugten Schauplätze sind Innenräume: das Krankenhaus, das Zimmer, die Automechanikerwerkstatt, und immer wieder das Auto, denn in diesem Roman wird viel gefahren.
Das Schicksal eines jungen rumänischen Paares, das sich in Italien eine Existenz aufbauen will, bei einem unfreiwilligen Zwischenstopp in Triest aber in die Fänge des psychopathischen Polizisten Gianfranco gerät, bildet den Ausgangspunkt für die Erzählung, in der Gewalt und Abrechnung als Leitmotive figurieren. Die Frau verliert ihr Kind, während ihr Mann, halb totgeschlagen, im Koma liegt. Eine slowenische Krankenschwester nimmt sich der Frau an und bringt sie zu sich nach Hause. Dort wohnt auch der greise Großonkel, der seit Jahrzehnten auf der Suche nach einem italienischen Kriegsverbrecher ist und auf Rache sinnt. Auf der anderen Seite gruppieren sich die Geschichten um Gianfranco, der sich vorgenommen hat, die Stadt von den Fremden zu säubern und der immer mehr Menschen in seine verbrecherischen Machenschaften hineinzieht …
Die ganze Zeit über steht ein merkwürdiger Komet über der Stadt, der die Menschen beunruhigt und Ereignisse von großer Tragweite anzukündigen scheint. Doch er verschwindet letztlich ebenso rasch und unerklärlich, wie er aufgetaucht ist. Was er hinterlässt, ist die Normalität einer Gesellschaft, die sich fragen muss, wie sie unter Bedingungen weiterleben will, unter denen immer mehr Menschen ins Aus gedrängt werden und Solidarität der guten Absicht Einzelner überlassen bleibt.

Roman

Fremder oder nicht Fremder – eine Frage der Perspektive, auch im zugigen Triest.

Sebastijan Pregelj, geb. 1970, gilt in Slowenien als einer der interessantesten jüngeren Autoren und kam mit jedem seiner bisher drei Romane auf die Shortlist für den begehrten Kresnik-Preis.
Veröffentlichungen: Svinje brez biserov (2002, Schweine ohne Perlen, Kurzprosa), Leta milosti (2004, Jahre der Gnade, Roman), Na terasi babilonskega stolpa (2008, Auf der Terrasse des Turms von Babel, Roman), Mož, ki je jahal tigra (2010, Der Mann, der den Tiger ritt, Roman), Prebujanja (2011, Arten des Erwachens, Kurzprosa).

In Triest beginnt es zu dämmern. Gianfranco fährt zum städtischen Strand. Mit der linken Hand hält er das Lenkrad, mit der rechten eine Dose Red Bull. Er hat alles durchdacht. Nicht einmal, sondern viermal, fünfmal. Er hat genug Zeit gehabt, um nicht mit heißem Kopf zu denken und voreilig seine Schlüsse zu ziehen, darum zweifelt er nicht an seinem Plan. Er ist gut. Kommissar Russo wird mir nicht auf den Arsch gehen, bläst er durch die Nase. Von jetzt an werde ich pfeifen, und er wird tanzen. Der Hosenscheißer glaubt, dass er sagen kann ich steig aus, und das war’s. Das spielt’s aber nicht, hebt er die Dose zum Mund und schluckt zweimal lang, dann schüttelt er die Dose und macht noch einen kurzen Schluck.
Der Plan ist gut, er biegt auf den Parkplatz ab und hält an. Bevor er aussteigt, holt er unterm Sitz eine Pistole hervor und steckt sie sich in den Gürtel. Gianfranco ist nicht im Dienst, nicht in Uniform, doch ohne Pistole geht er schon lange nirgendwohin. Er spaziert bis zur Mole, auf der es tagsüber vom frühen Frühling, wenn die Sonne zum ersten Mal warm ist, bis zum Spätherbst, wenn der kalte Wind nicht mehr zu blasen aufhört, von Badenden wimmelt. Auf dem Boden liegt der Müll, den sie an diesem Tag hinterlassen haben: ein paar Cremedeckel, ein Handtuch, ein paar leere und halbleere Plastikflaschen, zerquetschte Bierdosen. Gianfranco geht bis zum Ende der Mole, wo er eine Zigarette anzündet, und stellt sich ganz an den Rand, dass die Spitzen seiner weißen Sportschuhe drüberschauen.
Während er raucht, sieht er den Stern mit dem Schweif an, der schon ein paar Wochen über Triest schwebt. Von der ungewöhnlichen Erscheinung war in den ersten Tagen viel die Rede, sogar im nationalen Fernsehen, doch niemand konnte erklären, worum genau es geht, weder die Astrophysiker noch die Theologen. Zumindest nicht überzeugend. Jeder behauptete seines, die Wissenschaftler, dass es sich um ein seltenes Phänomen handle, das alle paar Millionen Jahre auftrete, die Theologen, dass es das Auge des Allmächtigen sei. Alles Verrückte! ärgerte sich Gianfranco vor dem Fernseher, während Maria die Sendung mit offenem Mund verfolgte. Weiber. Es ist ja nur ein Komet, neigt sich Gianfranco nun ein wenig nach vor und spuckt ins Meer. Er ist sich sicher, dass er schließlich verschwinden wird. So wie er gekommen ist, wird er auch gehen, leckt er sich die Lippen.
Nach einer Weile kommt ein Schwarzer auf die Mole, beladen mit Taschen und Täschchen. Jay! ruft Gianfranco ihm zu und schnippt die Zigarette ins Meer. Komm her! Na, komm, Freund! Als der Schwarze bei ihm ist und die Taschen abstellt, bietet ihm Gianfranco eine Zigarette an. Ich hab gewusst, dass du verlässlich bist, zündet er sie ihm an, legt ihm locker den Arm um den Hals und dreht sich gemeinsam mit ihm zu den verwahrlosten Lagerschuppen, in denen illegale Zuwanderer wohnen, die meisten davon Afrikaner.