Vordergründig haftet diesen Prosatexten etwas beinahe banal Alttägliches an: Klagen über die Mühen des Alltags in der Fremde, die Koexistenz mit anstrengenden Zeitgenossen – Seelenfänger, Energiesäufer, Floro-Erotomanen und viele andere mehr –, über erlittene oder eingebildete Krankheiten und andere Unbillen des Lebens. Das Besondere daran ist, dass sich jeder dieser Texte auf dem schmalen Grat bewegt, der das Lächerliche vom Schrecklichen trennt, den Witz von der Todesangst. Das eine, so scheint es, existiert nicht ohne das Wissen vom anderen, und jederzeit kann es geschehen, dass eins ins andere hinüberkippt.
Mit List führt Jovan Nikolic seine Leser in die Irre, lullt sie mit dem liebevoll-melancholischen Smalltalk eines versierten Großstadtneurotikers ein. Willig folgen wir ihm in seine schräge Welt grotesker Verwirrungen und bizarrer Wesen, um uns dann unvermittelt einen Schritt vor Abgrund wiederzufinden.
Überschrieben sind die einzelnen Kapitel mit Hypochondrie, Somnambulie, Familie und Apathie.

Kurzprosa

Hoffnungslos, aber nicht ernst. Eine Lehrfibel in Galgenhumor.

Jovan Nikolic, geboren 1955, aufgewachsen in einer Romasiedlung bei Cacak (Serbien). Mit seinen Musiker-Eltern, einem Rom und einer Serbin, reiste er als Kind durch das ehemalige Jugoslawien. Seit seiner Jugend schrieb er Gedichte, 1982 erschien sein erstes Buch. Zu dieser Zeit lebte er in Belgrad, verfasste Theaterstücke und stand als Schauspieler und Musiker auf der Bühne. 1999, während des Jugoslawienkrieges, emigrierte Nikolic zunächst nach Berlin, dann nach Köln. Heute ist er einer der bekanntesten Roma-Autoren, er erhielt Stipendien u. a. der Heinrich-Böll-Stiftung, des deutschen PEN, von KulturKontakt Austria und des Cultural City Network, Graz. In deutscher Sprache erschienen bei Drava die Bände Zimmer mit Rad (2004) und Weißer Rabe, schwarzes Lamm (2006).

»… Jetzt ist dieser zu den wichtigsten Vertretern der Roma-Literatur zählende Schriftsteller in einem Buch zu entdecken, das mit wenigen Strichen eine ganze Welt zeichnet. Die Texte sind kurz und von großer atmosphärischer Dichte. Wie in einem Kaleidoskop schieben sich die Bilder ineinander und ergeben so ein lebenspralles Ganzes: den Roman der Kindheit …« (Paul Jandl in der Neuen Zürcher Zeitung über Weißer Rabe, schwarzes Lamm)

(...)Das besondere an diesen kurzen Prosatexten aber ist, dass sich jeder auf dem schmalen Grat zwischen Lächerlichem und Schrecklichem, zwischen Witz und Todesangst bewegt. Klagen über Mühen des Alltags und in der Fremde, die Koexistenz mit anstrengenden Zeitgenossen – Seelenfänger, Energiesäufer, Floro-Erotomanen und viele andere –, über erlittene und eingebildete Krankheiten und andere Unbillen des Lebens(...)
(Leipziger Buchmesse in Buchinformationen gepostet)

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Energiesäufer
Man könnte sie Energiesäufer nennen (von Energie und saufen – unmäßig trinken). Es mag sein, dass sie Nachkommen der Vampire sind. Ihr Hunger ist unstillbar, und sie nutzen jede Gelegenheit, um mit Personen in Kontakt zu treten oder sich in deren unmittelbarer Nähe niederzulassen, bei denen sie ein Übermaß an Energie ausfindig machen, ein wohlgeformtes energetisches Ei, an dem sie nach Rissen suchen.
Sie sind schlau, schlitzohrig, sie nutzen alle verfügbaren Methoden und, obwohl sie nicht intelligent wirken (eigentlich sind sie es auch nicht), sind sie, geleitet von unersättlicher Energie-Gier, imstande, sich in begnadete Unterhalter, Lobhudler, hervorragende Taktiker zu verwandeln. Nachdem sie den Charakter ihres Opfers, das alsogleich zur Quelle ihres Genusses wird, taxiert haben, schmeicheln sie seiner Eitelkeit mit gewählter Rhetorik, und mit einem Anflug von Geheimnis im Gesicht wecken sie mit Leichtigkeit sein Interesse. So rammen sie ihre peitschenförmigen Saugrüssel in das Sonnengeflecht ihrer Beute und saufen die Energie. Man kann sie daran erkennen, dass Menschen in ihrer unmittelbaren Nähe (unglücklicherweise treiben sie sich ständig um uns herum) leichte Zittrigkeit und ein flaues Gefühl im Magen befällt, ähnlich der Peristaltik der Gedärme vor dem Ausscheiden des fäkalen Inhalts. Wenn sie sich aufgetankt haben und weggehen, fühlen Sie sich erschöpft und ohne irgendeinen augenscheinlichen Grund wird Ihnen übel!