Ein bodenständiger slowenischer Kaplan im Tolmin des frühen 16. Jahrhunderts, seine Konflikte mit dem italienischen Ordinariat in Cividale und dem deutschen Landeshauptmann, dazu sein privater Konflikt zwischen zölibatärer Lebensweise und sexueller Potenz sowie die vermessene Vorstellung, wie Christus einen Toten zum Leben erwecken zu können – das sind die Ingredienzien von Ivan Pregeljs bekanntestem Roman Plebanus Joannes, der 1921, im Jahr nach dem Grenzvertrag von Rapallo, in Triest erschien und als das »extremste Ergebnis des expressionistischen Subjektivismus bei den Slowenen« gilt.
»Aus der balladesk-düsteren und dramatischen Erzählung über die Gespaltenheit eines mittelalterlichen Kaplans zwischen Sinnlichkeit und zölibatärer Reinheit schält sich am Ende die Expression der ›reinen Sünde‹, die nur dem Anschein nach Sünde ist, in Wahrheit aber reiner als jegliches kirchliche oder weltliche Dogma.
Dreizehn Jahre später spitzte der Autor in der Novelle Thabiti kumi eine solcherart kontroverse ›Reinheit‹ zur äußersten Provokation zu und gab dem von religiösem Pathos getragenen, nun schon in die Jahre gekommenen Kaplan den Glauben ein, ein todkrankes Mädchen retten zu können, indem er seine noch verbliebene Lebenskraft buchstäblich in sie überfließen lässt.« (Matjaž Kmecl)

Roman · Novelle

Zwei große Erzählungen des slowenischen Expressionismus. Zwei Klassiker der slowenischen Literatur.

Ivan Pregelj, geb.?1883 nahe Tolmin, gest. 1960 in Ljubljana, Prosaist, Dramatiker, Lyriker, Kritiker, Übersetzer, Präponent der katholischen slowenischen Publizistik der Vor- und Zwischenkriegszeit; schrieb v. a. historische Romane; Plebanus Joannes (1921) und Thabiti kumi (1933) zählen zu den Hauptwerken der slowenischen expressionistischen Prosa.

Nun sind überdies die ersten fünf Bände einer Slowenischen Bibliothek" erschienen, die auf immerhin 30 Bände konzipiert ist. Solche Ehre - und Mühe! - wurde bisher nur der polnischen, der tschechischen und der türkischen Literatur zuteil" (Jörg Plath, NZZ, 29.6. 2013)

Der Geistliche ist über die Schwelle in den rußigen Hausflur mit der Feuerstelle getreten.
»Friede diesem Haus!« grüßt er nach dem Ritus, und der Knabe, der ihm dient, respondiert: »Und allen, die darin wohnen.«
Aus dem schwachen Herdfeuer steigt beizender Qualm und erfüllt den Raum, Schwaden wälzen sich durch die Luke über der Tür. Ein grauhaariger Alter mit kleinem, zerfurchtem Gesicht und zahnlosem Mund glotzt mit wässrigen Augen hinter dem Feuer hervor. Ein etwas flinkeres Weiblein hat sich vor dem Vikar niedergeworfen. Sie kniet auf dem festgestampften Lehmboden und greift nach seinem Mantel, um ihn zu küssen. Der Vikar kennt die beiden: es werden die zwei Alten sein, der Vater und die Mutter. Sie leben. Aber sie wissen nicht mehr, wie lange schon und wofür. Ob sie es überhaupt begreifen, dass ihre junge Tochter im Sterben liegt?
Der kleine Messdiener des Vikars hat sich nach rechts gewandt, zur Kammertür. Da schreit er auf und prallt vor dem schrecklichen Anblick zurück. Auch den Vikar ergreift es, als er im trüben Zwielicht des Herdfeuers ein furchtbar entstelltes Gesicht aufsteigen sieht, entgeistert, scheu und lauernd, eingefallen und zugleich grauenvoll verzerrt wie ein Traumgespenst. Doch der Geistliche erkennt es und kann sich denken, wer das ist: es ist nur der unglückliche, irre Bruder des Köhlers. Der Arme schrie auf wie ein Tier, dann stieß er ein kreischendes, rasselndes Lachen aus. Mit fester Hand griff der Kohlenbrenner nach ihm, packte ihn wie eine Katze und schob ihn zur Tür hinaus. Schwerfällig rappelte sich der Alte beim Herd auf.
Dann öffnete sich vor dem Geistlichen die rechte Tür von innen.
»Friede diesem Haus!« sagt er noch einmal und gibt sich selbst die Antwort:
»Und allen, die darin wohnen.«
... Der Vikar bemerkt eine Frau, die auf dem Fensterbrett die zwei Kerzen und das Kreuz aufgestellt hat und davor kniet. »Sie pflegt die Kranke«, denkt sich der Vikar und erkennt sie. Es ist die Nachbarin, Urša, die Stammlerin. Fünfmal hat er bei ihr schon getauft, innerhalb von sechs Jahren. Und jetzt ist sie wieder hochschwanger. Der Vikar kann und kann sich an die Nähe solcher Frauen nicht gewöhnen. Sie widern ihn an. Diesmal nimmt er sich zusammen: »Gedulde dich, Johannes, es gibt hier keine andere, wer sollte es sonst tun, und sie hat es ja richtig gemacht. Das Wasser wirst du schon selber segnen.«
(Aus: Thabiti kumi, 1933)