Exil. Ein Topos in doppeltem Sinn: geographischer Ort in der Toscana, wo diese Gedichte entstanden sind, und imaginärer Ort des Rückzugs, der Genesung von Verletzungen, des Heimfindens: »Oft singt mir der Wolf im Blut, / dann wird mir warm / in einer fremden Sprache«. Es sind Nachrichten von magischer Schönheit, schmerzhaftem Erinnern und trotziger Lebensbejahung.
Die Übersetzungen ins Romanes, in denen die jenische Autorin die Gedichte ihrer verlorenen Sprachwelt zurückgibt, stammen von Rajko Djuric, dem Dichter der »Zigeunerischen Elegien«.
Nevipe andar o exilo
Nevipe andar o exilo. Gila. Mit Übersetzungen ins Romanes von Rajko Djuric. Nw. Marianne Pletscher
»Während in Mariella Mehrs letzten Romanen der erlebte Schmerz brutal zuschlägt, transzendiert die Schönheit in den Gedichten den Schmerz, machen die Worte sich selbstständig ...« (Marianne Pletscher)
Mariella Mehr, geboren 1947 in Zürich. 1981 erscheint der Roman »Steinzeit« , der in mehrere Sprachen übersetzt wird. Es folgen Dramen und weitere Romane, in denen immer wieder eigene traumatische Erfahrungen literarisch verarbeitet werden: die eines Kindes aus dem Volk der Roma, das seiner Mutter weggenommen und in Anstalten abgeschoben wurde. »Nachrichten aus dem Exil« ist nach »in diesem traum schlendert ein roter findling« (1983) der zweite Gedichtband von Mariella Mehr.
... Mariella Mehr gehört zweifellos zu den sprachmächtigsten Autorinnen der Schweizer Gegenwartsliteratur. Sie schreibt eine lyrisch verdichtete Prosa; in ihrer Lyrik dagegen neigt sie zu einer verschwenderischen, barocken Bilderpracht ... (Roman Bucheli, Neue Zürcher Zeitung)
... Hier hat Mariella Mehr eine stille Ruhe, ja fast Heiterkeit gefunden, eine eigene poetische Sprache, die das Schreckliche des Lebens dennoch nicht beschönigt ... (Erika Achermann, St. Galler Tagblatt)
... Aber da ist auch diese Lust aufs Leben, die in ihren Gedichten hinter allen Schrecken hervorblitzt, bilderreiche Gesänge über die Casa rossa, die Liebe, die Vögel ... (Franziska Schläpfer, Buchjournal Schweiz)
... Der neue Ort, das Ankommen nach einer Flucht, prägen diese Gedichte, die der Sprache neue, ungewohnte Klänge abgewinnen, die eine Leidenserfahrung nicht als Klage hörbar machen, sondern mit wildem Aufbegehren sich gegen den Schrecken behaupten ... (Urs Bugmann, Neue Luzerner Zeitung)
... Niemandsland. Das ist Mariella Mehrs Heimat... (Isabella Straub, Kleine Zeitung)
... Die Ambivalenz ist prägend für die Lyrik Mariella Mehrs, die, der Welt und dem gegenüber hingebend zugetan, auch immer wieder die Verzweiflung und die Wut gegen Geschehenes und noch Geschehendes spürbar macht ... (Der Bund)
Ein Abend,
zu hastig herbeigeweiht,
die Rebhänge flüchten
in sprachfernes Glück.
Vor dem Gehöft die steinernen Stunden,
aufgehäuft und weiß
von der Sonnenhand,
die sie beschlug.
Nun ist es Zeit, Bruder,
den gestrandeten Stern zu bergen,
damit keiner ihm höhne
mit plumpem Mund.
Ein Schrei will zu Atem kommen,
der Opferruf des Wilds
enthimmelt das Tal.
Wirf mir den Mond zu,
das Brot der Rastlosen.
Wälz mir den Stern
vor den wachgesungenen Traum.