Der ukrainische Romancier Jurij Andruchowytsch dringt 1980 als junger Student erstmals bis zu einem sowjetischen Schlagbaum vor, hinter dem sich unerreichbar der ›freie Westen‹ erstreckt – eigentlich die sozialistische CSSR. Dan Lungu erzählt, wie er 1991 aus dem heimatlichen Iasi nach Bukarest reist und dort erfahren muss, dass die Staatsgrenze bereits vor der französischen Botschaft beginnt, die er eine Nacht lang in einer endlosen Menschenschlange belagert. Nelly Bekus beschreibt, wie sie aus Weißrussland nach Amsterdam kommend an jene unsichtbaren Grenzen stößt, die zwischen den Menschen verlaufen: jenen, die im Besitz eines EU-Passes sind und somit gehen können, wohin sie wollen, und den anderen, die immer nur ›Eingeladene‹ bleiben. 21 Autorinnen und Autoren aus zwölf Ländern, die gewöhnlich mit Begriffen wie Mittel-, Ost- und Südosteuropa umrissen werden, teilen ihre ganz persönlichen Grenzerfahrungen mit. Nicht immer sind damit nur geografisch-politische gemeint. Manche Texte erkunden die Räume zwischen privat und öffentlich, Traum und Realität, Vergangenem und Gegenwärtigem. Immer wieder auch fällt der Blick auf Wien, das in der europäischen Ost-West-Geometrie wohl irgendwo dazwischen liegt. Allen Texten gemeinsam aber ist die Bereitschaft, scheinbar Vertrautes zu verlassen, um sich dem Unbekannten auszusetzen.
Literarische Streifzüge zwischen Ost und West
Wo liegt »Europa« und wie, bitte, kommt man dorthin? Einundzwanzig literarische Erkundungen.
Annemarie Türk arbeitet seit 1992 bei KulturKontakt Austria und ist Bereichsleiterin für Kulturförderung und Sponsoring. In ihr Aufgabengebiet fällt auch das Writer-in-residence-Programm, zu dessen Stipendiaten die AutorInnen dieser Anthologie gehören.
(...) der Band (...) bietet eine spannende Auseinandersetzung mit dem Trauma der Grenze und seiner Entwicklung seit der sogenannten Wende. (Paul L. Waser, WOZ)
24 Schriftsteller und Schriftstellerinnen aus 13 Ländern im Osten und Südosten Europas nehmen Leserinnen und Leser in der Anthologie »Grenzverkehr« mit auf Reisen durch Europa und erzählen von ihren Schwierigkeiten, Grenzen zu überwinden. Sie lassen teilhaben an ihren Streifzügen durch Wien während ihres Aufenthaltes als writer in residence und reflektieren die jüngere Geschichte ihrer Länder. (Klagenfurt 492 9.Juni 2011)
Mit Texten von Amanda Aizpuriete (Lettland), Jurij Andruchowytsch (Ukraine), Lindita Arapi (Albanien), Daniel Banulescu (Rumänien), Nelly Bekus-Goncharova (Belarus), Piotr Czakanski (Polen), Lidija Dimkovska (Mazedonien/Slowenien), Daša Drndic (Kroatien), Tymofiy Havryliv (Ukraine), Oleksandr Irwanetz (Ukraine), Dan Lungu (Rumänien), László Màrton (Ungarn), Károly Mèhes (Ungarn), Ovidiu Nimigean (Rumänien), Halyna Petrossanjak (Ukraine), David Šalamun (Slowenien), Barbara Simoniti (Slowenien), Saviana Stanescu (Rumänien), Andrej Turkin (Russland), Dragan Velikic (Serbien und Montenegro), Sergiy Zhadan (Ukraine).