»Es war und es war nicht« – mit diesen Worten leiten viele Roma-Erzähler ihre Geschichten ein, wenn sich die Zuhörerschaft um sie versammelt hat. Die mündliche Erzähltradition nimmt vielerorts bis heute in der Kultur der zahlreichen europäischen Romagruppen einen zentralen Stellenwert ein. Viele dieser Gruppen werden in der vorliegenden Auswahl von Märchen, Schwänken, Legenden und Liedern präsentiert. Die Texte wurden in den vergangenen vier Jahrzehnten als Tonaufnahmen gesammelt. Sie vereinen archaische Elemente indo-iranischer Märchenkultur mit Einflüssen aus den verschiedenen Ländern, in denen die Gruppen im Laufe der Zeit gelebt haben. Sie sind ausdrucksstark und bildhaft, reich an Wunschformeln und ritualisierten Wendungen und mitunter auch unerwartet drastisch. Darüber hinaus vermitteln die Lieder einen Eindruck der musikalisch-poetischen Vielfalt der Roma.
Der zweisprachige Band dokumentiert verschiedenste Dialekte des Romani und gewährt Einblicke in Lebensweisen und Vorstellungswelten dieses in unserer Mitte lebenden und doch fast unbekannten Volkes.

Märchen und Lieder der Roma -- So Roma phenen taj gilaben

Terra incognita:
Märchen und Lieder der Roma.

Christiane Fennesz-Juhasz, geb. 1961, Musikwissenschaftlerin am Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, dessen umfangreiche Tondokumentationen zur Romakultur sie betreut; diverse Publikationen zu Musik und Oraltraditionen der Roma.

Petra Cech, geb. 1962, Sprachwissenschaftlerin und Mikrobiologin, arbeitet seit 1992 zu verschiedenen Varianten des Romani; diverse Publikationen zum Forschungsschwerpunkt, u. a. gemeinsam mit M. F. Heinschink: »Sepeci­des-Romani. Grammatik, Texte und Glossar eines türkischen Romani-Dialekts« (Wiesbaden 1999).

Dieter W. Halwachs, geb. 1956, Sprachwissenschaftler am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Graz, dessen Romani-Projekt er seit 1993 leitet. Zahlreiche Publikationen zu verschiedenen Romani-Varianten, mit einem soziolinguistischen Schwerpunkt, aber auch u. a. einer Grammatik des Burgenland-Romani (Amaro vakeripe Roman hi – Unsere Sprache ist Roman, Drava 1998).

Mozes F. Heinschink, geb. 1939, Urheber einer der weltweit größten Audiosammlungen zu Kultur und Musik der Roma Zentral- und Südosteuropas sowie der Türkei. Die Sammlung Heinschink, aus der die meisten der hier abgedruckten Texte stammen, ist im Phonogrammarchiv archiviert; zahlreiche Publikationen zur Sprache und Kultur der Roma.

Gott ruhte sich aus und dachte ein wenig nach. Nun nahm er wiederum von dem Lehm, machte daraus eine Form und gab etwas Salz dazu. Er sprach: »Sein Blut soll richtig salzig sein!« So formte er einen wunderschönen Menschen. Seine Schönheit blendet sogar die Sonne! Nun genug davon, perfekt erschuf er den Menschen. So geformt schob er ihn in den Ofen und entfachte ein großes Zigeunerfeuer, an dem man sich aufwärmen kann. Einmal entfacht, brennt es bis übermorgen. Du musst bedenken, für die Roma muss es eine gewisse Hitze entwickeln, damit sie nicht frieren. So wurde der Rom gebacken. So schön wie dieser sind bis heute die allerschönsten Menschen