Die beiden in diesem Band zusammengestellten Texte Mein Leben und Der Sünder Lenart gehören sowohl durch die Zeit ihrer Entstehung (1913 und 1915) als auch durch die Ähnlichkeit des behandelten Stoffs zusammen. Während Cankar in Mein Leben, das einen Höhepunkt der erinnernden Prosa darstellt, mit sich und seiner verlorenen Jugend abrechnet, indem er das schuldbeladene, schmerzkranke Kind wieder aufleben lässt, stellt Der Sünder Lenart, Cankars letzter größerer und erst postum erschienener Text, eine böse Abrechnung mit den Menschen dar, die sich am Kind vergehen, die seine Gaben nicht wollen und selbst ihre Vorratskammern verschlossen halten: wer nicht von ihrer Art und Natur ist, ist ein Dieb, wert vor ihrer Tür zu verrecken. Mein Leben wurde für diesen Band neu, Der Sünder Lenart erstmals ins Deutsche übersetzt.

Zwei autobiographische Erzählungen

Zwei aufschlussreiche Texte, in denen Cankar sich aus unterschiedlicher Warte mit seiner Kindheit und seinem Leben auseinandersetzt.

Ivan Cankar (1876–1918) lebte als freier Schriftsteller in Slowenien und Wien-Ottakring. Er ist der bedeutendste Vertreter der slowenischen Moderne. Sein Gesamtwerk umfasst 30 Bände.

Viele Freunde hatte Lenart, doch unter den Menschen keinen. Menschen mögen nicht diese weit offenen Augen, die zu weit und zu tief sehen, entrückt sind in lichte Abgründe aus Träumen und Ahnungen.
Donnerstags holte er trockenes Holz im Wald. Er ging am liebsten allein, um ohne lästige Zeugen mit seinen Gefährten und Freunden zu reden. Niemand hatte so viele an Zahl, niemand so schöne, freiherzige und treue. Er verließ sich auf sie, vertraute ihnen ohne Zweifel und Angst; und auch sie vertrauten ihm ihre stillsten Geheimnisse an, die sie sonst scheu vor fremden Augen wegsperren. Kaum trat er unter sie, war sein Schritt leicht, hatte er rote Backen, klarte sein Herz auf, öffnete sich weit dem Licht und der Liebe …