Das vorliegende Buch geht der Frage nach, wie kollektive Traumata, die nach fast 200 Jahren für längst überwunden gehalten werden, noch immer so real wirksam sein können. Woher kommen die unheimlichen Dämonen, deren Abbild Hoffmann in seine Erzählung fixiert und welche psychohistorischen Gesellschaftsstrukturen verhelfen ihnen zu einer solch epochenübergreifenden Lebensdauer?

Die Suche nach Antworten beginnt mit zwei unterschiedlichen Forschungsarbeiten an E.T.A. Hoffmanns Sandmann-Erzählung: Die erste gräbt nach deren verborgenen Motiven und Hintergründen. Dazu werden sechs Textstellen bzw. Motive, an denen sich unbewusste Übertragungen ungewöhnlich stark verdichten, herausgegriffen und dem Versuch unterzogen, ob sich nicht im Lösungsbad analytischer Deutungsarbeit einige Geheimnisse ihrer seelischen Spannkraft sichtbar machen lassen.
Die Fundstücke der ersten Untersuchung entpuppen sich in weiterer Folge als wegweisender Faden für die zweite Analyse, an dem entlang versucht wird die psychohistorische Entstehung einiger nationaler Phantasmen und Geschlechterbilder nachzuvollziehen. Dabei werden gesellschaftliche Rahmenbedingungen – allen voran die Anti-Napoleonischen Kriege – ebenso berücksichtigt, wie auch die psychologischen Gründe, die dieser Kurzgeschichte bald schon ein so großes Echo in der deutschen Öffentlichkeit verschafften.

Im dritten Teil wird auf die Nachhaltigkeit der Szenarien und Figuren Hoffmanns eingegangen und beispielhaft aufgezeigt, wo ihre geistigen Reinkarnationen in den letzten beinahe zweihundert Jahren die Literatur, die Malerei, aber vor allem die Leinwände durchreist haben. Erst an und mit ihnen wird die Tragweite deutlich mit der sich traumatische Ereignisse der Geschichte in psychische Strukturen einschreibt – und sich manifestiert als szenischer Körper einer längst nicht mehr nur deutschen Männlichkeit.

E. T. A. Hoffmann und die Geburt einer deutschen Männlichkeit

»E.T.A. Hoffmann ist der unerreichte Meister des Unheimlichen in der Dichtung« schrieb Freud 1919 und setzte dem Autor des Sandmanns damit ein oft herbeizitiertes Denkmal. Das Unheimliche aber, erklärt Freud weiter, speist sich aus der Verunsicherung, ob das »überwundene Unglaubwürdige nicht doch real möglich ist«.

Jacob S. Guggenheimer, 1975 in Berlin geboren, Studium der Psychologie, arbeitet als Sozialpsychologe und ist Projektmitarbeiter des Forschungsnetzwerkes »Kultur und Konflikt« an der Universität Klagenfurt.