Seit jeher haben die Roma im Burgenland ihre Sprache, das Roman, wie ihre gesamte Kultur mündlich überliefert: In Märchen, Geschichten, Erzählungen und Lieder gefasst, werden die Erfahrungen der Alten an die Jungen weitergegeben. Diese Kette ist im 20. Jahrhundert gerissen - Zeichen der Zeit, vor allem aber Folge des Holocaust, der das Gedächtnis der Volksgruppe ausgelöscht hat. Die wenigen, welche das Konzentrationslager überlebt haben, sind inzwischen alt oder bereits gestorben; und in der Ära der vorgefertigten Kommunikation findet sich kaum noch jemand, der ihren Schatz weitergibt. Die Texte dieses Bandes basieren auf Tonbandaufnahmen aus den vergangenen vierzig Jahren und vermitteln einen Eindruck von Reichtum und Eigenart dieser bedrohten Welt.
Märchen, Erzählungen und Lieder der Roma aus dem Burgenland
Romane pamaristscha, phukajiptscha taj gila andar o Burgenland
Dieter W. Halwachs, geb. 1956, Sprachwissenschafter an der Universität Graz, Arbeitsschwerpunkte Soziolinguistik, Minderheitenlinguistik, Leiter des Romani-Projekts.
Emmerich Gärtner-Horvath, geb. 1962, Geschäftsführer des Vereins Roma, Oberwart. Seit 1993 gemeinsame Arbeit am Projekt Kodifizierung und Didaktisierung des Roman.
... Da nahm der Teufel den Rom und fuhr mit ihm in die Erde zu seiner Mutter: »Da!«, sagte er zu seiner Mutter: »Ich habe einen Rom gebracht, der für uns arbeiten wird.« Am folgenden Tag sagte der Teufel: »Morgen bäckt meine Mutter Kirschenstrudel. Wir steigen auf den Kirschbaum, um Kirschen zu pflücken.« Oh, der Teufel hatte lange Krallen! Er kletterte auf den Baum wie ein Eichkätzchen. Der Rom sah zu: »Hm, da kann ich nicht mithalten.« Der Baum maß gut fünf Meter in der Breite. Doch der Rom nahm sein Messer und begann, diesen riesigen Kirschbaum anzusägen. »Was machst du?«, fragte der Teufel. »Ich«, erklärte der Rom, »trage den ganzen Kirschbaum.« Als der Teufel nun das hörte, rief er: »Hör auf! Übers Jahr brauchen wir diesen Kirschbaum noch. Du brauchst keine Kirschen zu bringen.« Sie gingen nach Hause, und der Teufel sagte zu seiner Mutter: »Oh, meine Mutter«, sagte er, »ich bin stark, aber der ist zwanzigmal stärker als ich!« ...