Ein Idol, das erst durch sein Scheitern zum Idol wird, so charakterisiert eine Romanfigur den Boxer. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend, endet die steile Karriere des Protagonisten kurz vor ihrem Höhepunkt. Eben noch von den Massen umjubelt, muss er als Berufskiller und -folterer anheuern. Der Traum vom bescheidenen Wohlstand führt in einem Netz krimineller Machenschaften in die Selbstzerstörung.
Enrique Medina verflicht in seinem Werk drei Erzählebenen: Als auktorialer Erzähler beschreibt er die Karriere des Boxers und sein Leben als Berufskiller. Durch Medinas Affinität zum Film bauen sich die Szenen bildhaft-plastisch vor dem Auge des Lesers auf. Die Perspektive des Protagonisten wird in einem manischen Selbstgespräch dargestellt, das sich fallweise zu einem Zwiegespräch mit einer Ratte entwickelt, die in seiner Blechhütte vor dem Regen Unterschlupf sucht. Inspiriert von Orson Welles‘ „Citizen Kane“ beleuchten schließlich Menschen aus seinem Umfeld sein Leben vor einem unbekannten Zuhörer.
Der argentinische Soziologe Juan José Sebreli meinte treffend, während andere Autoren ihren Protagonisten eine Stimme verleihen, verschafften sich bei Enrique Medina die Protagonisten selbst Gehör.
Die folternde und mordende Militärdiktatur Argentiniens verstand das Werk 1976 auch aufgrund seiner Authentizität als Angriff auf ihr Regime: Wenige Monate nach seinem Erscheinen wurde es verboten. Um in einem Klima der Angst gegen die Diktatur anzuschreiben, brauchte es viel Mut. Enrique Medina war einer der wenigen, der ihn besaß.

Roman

Enrique Medina, geboren 1937 in Buenos Aires, verarbeitete seine Kindheit in einer Jugenderziehungsanstalt in einem Erstlingsroman "Las Tumbas". Das Buch zählt mit über 300 000 Exemplaren zu den meistverkauften Büchern in der Geschichte Argentiniens. Nach diesem Erfolg von 1972 entschloss sich der Kameramann, Beleuchter und Journalist, seine ganze Energie in den Beruf des Schriftstellers zu legen. So entstanden bis dato 25 Werke, von denen viele unter der Verfolgung der Zensur litten und nur dank waghalsiger Verleger veröffentlicht werden konnten. An renommierten argentinischen Instituten studierte er das Handwerk des Kinos, seine wirkliche Schule war aber das Leben, etwa als Portier in einem Bordell oder als Arbeiter in einer Revolverfabrik. Enrique Medina sieht sich als Seelenverwandter von Charles Bukowski, den er in Argentinien populär gemacht hat.

Jenseits seiner historischen Bedeutung in und für Argentinien ist der kurze, kompakte Roman auch literarisch ein bemerkenswertes Experiment: Medina erzählt wesentliche Teile der Geschichte seines erst erfolgreich boxenden, dann ebenso erfolgreich mordenden Protagonisten in einer Art Gedankenstrom - in einem Gespräch, das El Duke an diesem letzten Nachmittag seines Lebens mit sich selbst führt. Teilweise auch mit einer Ratte, die sich zufällig in seinem Unterschlupf eingefunden hat. (Thomas Schaller in Ex Libris - Das Bücherradio)

Boxer reden nicht viel, und Ratten hören nicht gerne zu. Ein erstaunliches Buch. (Boxsport)

Fraglos ist das Buch des Argentiniers auch jenseits seiner rezeptionsgeschichtlichen Bedeutung als Dokument von Diktatur und Zensur eine beeindruckende Parabel auf die menschliche Brutalität und auf das Scheitern der Existenz schlechthin. (Thomas Schaller in Ex Libris - Das Bücherradio)

(...) Dieses verstörende, recht eigentlich hoffnungslose Buch, an dessen Ende der grausige Tod des Helden steht, muss man wahrlich aushalten können. Wie das Leben selbst (Deutschlandradio Kultur 10.02.2011 15.33)

(...) »Der Boxer« von Enrique Medina ist eine vielbeachtete deutsche Übersetzung des argentinischen Autors, die im engagierten österreichischen Verlag Drava erschienen ist und auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse mit Argentinien als Gastland große Beachtung gefunden hat. (www.lesefreunde.homepage24.de)

»Für welche Zeitung? Gut … In Wirklichkeit kann ich nichts sagen. Es sind so viele Jahre dazwischen vergangen … Aber nein, ich habe nichts zu sagen. Als er bekannt wurde, als er berühmt war, hat er sich hier nicht mehr blicken lassen … Wir waren sehr stolz auf ihn … Wir? Wir sind wir, aus dem Viertel! Wir kennen ihn seit er ein Kind ist … Ja … Er war ein sehr braves Kind, ein wenig zurückhaltend, aber sehr brav. Ja, er lebte mit seiner Mutter in diesem kleinen Häuschen … Sie arbeitete den ganzen Tag auswärts und nahm ihn mit, aber das reichte gerade einmal für die Medikamente, sie wissen schon … Ja, der Herr, sie ist in einem Spital gestorben, aber er war schon im Internat, weil er ausgerastet ist und dabei andere Kinder mit einem Stock verletzt hat. Das war sehr komisch, er war so brav, er machte Besorgungen für die Nachbarn. Er war ein Arbeiter, einige Zeit hat er für einen Herrn hier im Viertel gearbeitet, um der Mutter zu helfen. Er hat für ihn kleine Aufgaben übernommen, Sie wissen schon. Er rührte den Mörtel an, trug die Kübel und all diese Sachen … Natürlich, der Herr, er war im ganzen Viertel beliebt …“