Gemeinsam ist den in dieser Anthologie versammelten AutorInnen mazedonischer und albanischer Sprache die Zugehörigkeit zu einer Generation, die sich mit dem Begriff »postsozialistisch« nur ungenügend erfassen lässt, schon eher über ihre Vorliebe für die Gattung der fantastischen Literatur. Als spiegelten der Zweifel an der Macht des Faktischen und die Obsession für jene ungesicherten Grenzen zischen Traumwelt und Wirklichkeit etwas von dem wider, was Mazedonien selbst anhaftet: ein Land vom Hörensagen, um dessen staatliche Zugehörigkeit erbitterte Kriege geführt wurden, eine Sprache, deren Existenz gelegentlich noch immer in Zweifel gezogen wird, ein Staat, der jahrelang ohne Namen auskommen musste, ein unverbürgtes Gerücht, das in den Weltnachrichten auftaucht und wieder verschwindet.
Zeitgenössische Erzählungen aus Mazedonien
Mit einem Vorwort des Herausgebers. Aus den Mazedonischen von Roberto Mantovani, aus dem Albanischen von Joachim Röhm
Mazedonien, oft nur als Hinterhaus Europas wahrgenommen, birgt einen faszinierenden Reichtum fantastischer Erzählkunst.
Die AutorInnen: Ferid Muhic, Kim Mehmeti, Vase Mancev, Dragi Mihajlovski, Jadranka Vladova.
Der Herausgeber Blagoja Risteski Platnar ist Dramaturg in Prilep (Mazedonien).
Eine hohe Mauer und Wiesen umgaben das Haus am Ende des Dorfes. Das Hoftor war schon seit vielen Jahren mit einer rostigen Kette verschlossen. Nur die Eidechsen krochen durch die Löcher in der Mauer oder die Ritzen zwischen den Torbohlen und gaben sich ein Stelldichein im Hof des Hauses, das schon lange verlassen war und bei den Einwohnern als verwünscht galt. Eigentlich sahen alle das Haus, und zwar mehrmals täglich, wenn sie die Straße hinauf- und hinuntergingen, aber sie taten so, als bemerkten sie es gar nicht. Gott allein weiß, warum niemand zu den der Sklaverei des Schweigens verfallenen Mauern und dem schiefen Dach hinüberschaute, auf dem noch nicht einmal die Adler eine Rast einlegten, weil sie keine Lust hatten, auf dem längst erkalteten Schornstein ihre Zeit zu vergeuden. … (Kim Mehmeti: Das Haus am Ende des Dorfes)