Ein albanisches Dorf, umringt von hohen Bergen, zweigeteilt durch einen Sturzbach, davor der Fluss - Verbindung zur Außenwelt und Trennlinie zugleich. In diesem hermetischen, archaischen Kosmos siedelt der albanisch-mazedonische Autor Kim Mehmeti seine Geschichte an. Sie erzählt vom Schweigen und Verschweigen, von der von einer Generation zur nächsten weitergegebenen Verstrickung in Schuld und Vergeltung, von Erinnerungen, die unterdrückt werden und umso heftiger hervordrängen. Mit der suggestiven Magie einer Sprache, die Raum lässt, weil sie andeutet und ausspart, zieht Mehmeti den Leser in den Bann seines Dorfes.

Roman

Kim Mehmeti, geboren 1955 in Grçec/Grcec bei Shkup/Skopje (Mazedonien). Albanischsprachiger Schriftsteller und Essayist, Übersetzer aus dem Mazedonischen und Albanischen. Zahlreiche Romane und Erzählbände in albanischer und mazedonischer Sprache. Bei Drava erschienen vier Erzählungen in der Anthologie "Das Haus am Ende des Dorfes" (2001).

... Auch Mehmeti mag Mythen. Nur dass er ihnen nicht erliegt: Er seziert und analysiert sie - als Rauschmittel für Menschen ohne Zukunft ... Beschreibt er ein albanisches, ein mazedonisches Dorf? Es ist schlicht ein Balkandorf, Metapher für die fluchbeladene Halbinsel am Rand Europas; ein Labor zur Beobachtung extremer menschlicher Reaktionen ... (Uwe Stolzmann, Neue Zürcher Zeitung)

... Kim Mehmeti schreibt hier nicht bloß über das behütende wie tödliche Wirken von Tradition und Isolation. "Das Dorf der verlfluchten Kinder" mag vielmehr verstanden werden als Fabel des Zusammenbruchs Jugoslawiens ... Joachim Röhm als Übersetzer hat wiederholt Arbeiten von Kim Mehmeti ins Deutsch übertragen. Mit dem vorliegenden Roman ist es ihm zweifelsfrei gelungen, die in unseren Breiten nahezu vergessene Erzählkunst mit zu übertragen, die ein Ereignis mit dem anderen verwebt. ... (Jochen Langer, Archipel)



Es war schon merkwürdig, aber der Gang des Lebens in unserem Dorf wurde über die Jahrhunderte hinweg sehr genau erfasst, obgleich es keine schriftlichen Aufzeichnungen, keine Tagebücher gab, die es ermöglicht hätten, eine leidlich getreue Chronik niederzulegen. Wenn es dennoch jemand eingefallen wäre, so hätte dieses Unterfangen letzten Endes dem Versuch geglichen, mit dem Zeigefinger ein Loch ins Wasser zu stechen. Zum Beispiel hätte er sich schon gleich zu Beginn, bei der Gründung des Dorfes, vor einer unüberwindlichen Mauer wieder gefunden und sich deshalb womöglich zu dem Gedanken verleiten lassen, unsere Ahnen seien mitsamt ihren Häusern von Gottes Hand direkt aus dem Himmel auf diesen Hügel versetzt worden. Es gab nämlich keine klaren Auskünfte über die Herkunft unserer Vorfahren und den Grund für ihre Entscheidung, sich ausgerechnet zwischen diesen beiden Bergrücken niederzulassen, die sich oben hinter dem Dorf vereinigten und mit den hohen Alpen zusammenwuchsen, deren Spitzen sommers wie winters ein weißes Schneehäubchen trugen. Diese beiden in der Niederung des Flusses fußenden Bergrücken lagen einander gegenüber und erzeugten eine Enge, die mit fallender Höhe noch zunahm, bis sie sich in eine blaue Linie verwandelte, das Bett des Wildbachs, der sich unten in den Fluss ergoss. An beiden Flanken dieses engen Einschnitts, der nur am Fluss an Weite gewann, wo das Laub von ein paar Nussbäumen den Eindruck eines geschwollenen grünen Bauches erweckte, waren die Häuser aufgereiht, die sich, fast aufeinander sitzend, bis an den Rand des Waldes hinaufzogen, der auf drei Seiten das Dorf umgab.