Mittelpunkt der Handlung ist ein altes, rotes Stadthaus, das aus allen Stockwerken von Musik durchflutet wird. Seiner Eigentümerin, die einst mit einem italienischen Opernsänger liiert war, sind Musiker die liebsten Mieter – vor allem solche, die es als »musikalische Gastarbeiter« aus dem Osten und Südosten Europas in die Stadt im Südosten Österreichs verschlagen hat. Die handelnden Personen: Ciprian, Cellist in zweiter Generation, und sein Sohn Luca, der sich vom Cello ab- und dafür umso obsessiver der Gambe zuwendet. Bogdan, kurz vor dem Ende Ceausescus aus Rumänien geflüchtet, ein ehemaliger Schauspieler, der, weil ihm sein Beruf in der fremden Sprache versagt ist, mit Barockengeln handelt. Livia, die Tochter der Hauseigentümerin, die ein Kind von ihm hat, sich aber von Ciprians Cellospiel noch mehr in den Bann ziehen lässt als von Bogdans Wortkaskaden. Alexej, der ukrainische Korrepetitor und Chorleiter aus dem zweiten Stock, die Sängerin Alena, auch sie aus der Ukraine, und viele andere mehr. Ihre Wege kreuzen sich, verstricken sich für einen Moment, lösen sich voneinander und treffen, kontrapunktisch gesetzten Themen gleich, doch immer wieder zusammen, in diesem Taubenschlag, der den in alle Winde Verstreuten eine zumindest provisorische Bleibe bietet. Der andere, mächtigere Gravitationspunkt aber liegt weit stromabwärts, im Schilfdickicht des verzweigten Deltas der Donau.
Roman
Eine Geschichte voller Musik, in der eine Vielzahl von Stimmen kontrapunktisch ineinander verwoben werden.
Debütroman der preisgekrönten Grazer Autorin Ursula Wiegele.
Ursula Wiegele, geboren 1963 in Klagenfurt, lebt in Graz, derzeit hauptberuflich im Sozialbereich und als Leiterin von Schreibwerkstätten tätig. Literarische Publikationen in Zeitschriften und Anthologien. Mehrere Preise bei Literaturwettbewerben, zuletzt 1. Preis für Kurzprosa vom Österreichischen Schriftstellerverband (2010). Für einen Auszug aus ihrem damals in Arbeit befindlichen Debütroman »Cello, stromabwärts« erhielt sie den zweiten Preis des Würth-Literaturpreises der Poetikdozentur Tübingen 2007, zu dem Péter Esterházy das Thema gestellt hatte.
(...) Es geht um Musik, um Sehnsucht, um den Wunsch, einen Ort zu finden, an dem ein Bleiben, wenigstens für eine Zeitlang, möglich wird.
(ORF Magazin: Texte - neue Literatur aus Österreich; http://oe1.orf.at/programm/285778)
Mit ihrem wunderbaren Debütroman "Cello, stromabwärts" hat die für ihre Kurzprosa vielfach ausgezeichnete Grazer Schriftstellerin Ursula Wiegele ein Buch von hoher Musikalität vorgelegt, das dem Verlagsthema des Grenzen überwindenden Flusses perfekt zu entsprechen scheint, auch wenn der Titel und in den Sehnsüchten der entwutzelten Protagonisten mäandernde Strom nicht die Drau, sondern die Donau beschreibt und der Kern der Geschichte nicht in Klagenfurt, sondern in Graz angesiedelt ist.(...)
(...) Ursula Wiegele ist mit ihrem Debütroman ein Buch von selten lebenspraller Poesie und hoher sprachlicher Poesie gelungen, das die Beweggründe seiner Protagonisten, ihre Ziele und Träume mit präziser Klarheit vor unserem geistigen Auge erstehen lässt und in uns zum Klingen bring, mit einer erzählerischen Ökonomie und traumwandlerischen Präzision, die selten geworden sind: eine Hymne auf die Kraft der Literatur und der Musik. (Jüdische Zeitung, Florian Hunger Oktober 2011, Nr.68)
Mein Freund hat sich über die Kekse gefreut, ruft Fritz, er hüpft durch den Salon, die Flügel wippen. Ciprian nimmt sein Cello und beginnt zu spielen. Nach einigen Tönen sind alle still. Keine Bewegung mehr im Raum, nur zwei Flügel federn noch nach, Livia hat Fritz hochgezogen auf ihren Schoß. Die Gewölberippen dehnen sich und die Wände weichen auseinander. Das Präludium baut einen Raum mit frei stehenden Wendeltreppen und Säulen, die in den Himmel wachsen. Nach dem ersten Satz tiefe Atemzüge.
In der Sarabande dann spielt Ciprian am Rand der Stille entlang, ein Sehnen spannt sich von Ton zu Ton. Wer möchte da nicht Cello sein. Livias Blick liegt auf CiprianCello, die Konturen des Mannes und jene des Instruments verschmelzen. Livia brennt es im Hals. Warme Töne fließen durch ihre Tränengänge. Sie locken den Strom.
Fritz ist eingenickt. Livia legt seinen Kopf an ihre Schulter, Bourrée und Gigue führen das Kind in eine Landschaft, wo Drachen mit Weihnachtsmannmützen tanzen. Im Schnee.
Bogdan hat sich hinausgeschlichen. Neben dem Engel im Stiegenhaus steht der Teller mit Keksen. Er nimmt eines und geht nach oben. Im Turmzimmer sitzt der Papagei auf der Lehne des Ohrensessels. Zu Weihnachten kommen Gefangene frei, hat Bogdan zu Mittag gesagt, und du bekommst heute Freigang. Oder besser gesagt: Freiflug. Als Bogdan eintritt, fliegt der Papagei in die Höhe, am Landeplatz wirbelt der Staub hoch. Vom Schrank aus beobachtet der Vogel Bogdan, mit kleinen Zuckungen seines Kopfes.