Die Bilder gingen um die Welt: Verzweifelte afrikanische Flüchtlinge, die zu Tausenden mit Hilfe improvisierter Leitern versuchen, den sechs Meter hohen Drahtzaun zu überwinden, der Marokko von der spanischen Exklave Melilla trennt – vor sich die bewaffnete Guardia Civil, im Rücken das marokkanische Militär. Der aus Kamerun stammende Fabien Didier Yene ist einer von ihnen. Immer wieder rennt er gegen den Grenzzaun an oder versucht schwimmend europäischen Boden zu erreichen. Immer wieder wird er zurückgeworfen, aufgegriffen, an die Grenze abgeschoben, einmal mit ein paar anderen mitten in der Wüste zurückgelassen.
In der dritten Person erzählt er von seiner Reise nach Europa, die mit dem Untergang des Dorfes beginnt, in der er geboren wurde, und in Marokko zu einem vorläufigen Stillstand kommt. Dazwischen liegen die Länder Tschad, Nigeria, Niger, Libyen, Algerien. Dazwischen liegen vor allem jene Erfahrungen, die man lesend mit dem Erzähler teilt: die Durchquerung der Wüste, die Erpressung durch Schlepper und windige Geschäftsleute, das Leben in illegalen Ghettos, Hunger und Entbehrungen, die unbeschreibliche Brutalität von Exekutivorganen und die Feindseligkeit der Einheimischen, die ständige Angst, entdeckt oder ausgeraubt zu werden, das sukzessive Abhandenkommen aller Illusionen. Aber auch das: Momente der Freundschaft, der Solidarität, des Atemholens.
Seine literarische Qualität zieht das Buch aus dem nüchternen, stellenweise lakonischen Ton, den Yene als Chronist in eigener Sache wählt – im Willen, stellvertretend für all die anderen Zeugnis abzulegen und schreibend ein Stück Handlungsmacht über die eigene Geschichte zurückzugewinnen.

Chronik einer Migration - 2.Auflage (br.)

Ein einzigartiges Dokument über die unmenschlichen Konsequenzen der europäischen Abschottungspolitik – aus der Feder eines direkt Betroffenen.

Fabien Didier Yene, geboren in der Ortschaft Ekombitié, Kamerun. Schulabschluss mit Matura in der Hauptstadt Yaoundé. Nach seiner Auswanderung, die ihn durch zahlreiche afrikanische Länder geführt hat, lebt er heute in Marokko, wo er im März 2008 zum Obmann der Kameruner Emigranten-Gemeinschaft gewählt wurde und sich im Rahmen verschiedener Menschenrechts-Organisationen, darunter das Netzwerk Euro-afrikanisches Manifest, für die Rechte von MigrantInnen und das Recht auf Bewegungsfreiheit einsetzt. Bis an die Grenzen ist sein erstes Buch, es erschien 2010 in Frankreich unter dem Titel Migrant au pied du mur.

Fabien Didier Yene beschreibt in seinem Buch »Bis an die Grenzen« die menschenunwürdigen Lebensumstände der afrikanischen Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa. (...) Die karge Direktheit der Worte macht dieses Buch nicht zu einem nach Mitgefühl haschenden Zeugnis einer tragischen Fluchtgeschichte, sondern zu einem dringlichen Appelll, das lange ausstehende Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit von MigrantInnen und ein Dasein ohne Diskriminierung durchzusetzen. Absolut empfehlenswert. (Jasmin Al-Kattib, derstandard.at, 21. Juli 2011)

Fabien Didier Yene schildert in »Bis an die Grenzen – Chronik einer Migration« seinen schrecklichen Exodus voller Elend und Leid durch halb Afrika. Ob skrupellose Schlepperbanden oder brutale Gewalt der korrupten Beamten in den durchquerten Ländern, der Autor weiß, worüber er schreibt. (...)
Fabien Didier Yene hat es nicht geschafft, nach Europa zu flüchten, dennoch ist er zu einem wichtigen Sprachrohr der MigrantInnnen geworden und kämpft in und mit Menschenrechtsorganisationen für ihre Rechte.
(Megaphon Nr. 188/15. Jg., Juli 2011)

Yene erzählt nicht nur die eigene Geschichte, sondern unzählige weitere, jener Menschen, denen er unterwegs begegnet. Es ist ein Kaleidoskop von Biographien, Ausschnitten, Einblicken, die der Autor seinen LeserInnen eröffnet, das die einzelnen Persönlichkeiten aus der Anonymität von Zahlen und Presseberichten holt, aus Statistiken Menschen macht, und Klischees, Vorurteilen und Schubladisierungen wie sie Europa MigrantInnen, vor allem afrikanischen, entgegengebracht werden, durch seine Differenziertheit jeden Boden entzieht. Diese findet sich auch im Sprachrhythmus wieder, der Handlung, der Emotion, Faktenzitat, Kommentar und Reflexion miteinander verbindet, wie sie in jedem Menschen in jeder Situation gleichzeitig wirken.
(Ausreißer – Die Grazer Wandzeitung Ausgabe 41, 2011)

(...) Yene wird nicht nur zum Chronisten seines eigenen Schicksals, sein Bericht weist alle Elemente einer kollektiven Leidensgeschichte auf. Er legt Zeugnis ab von der afrikanischen Migration nach Norden und setzt ihr ein literarisches Denkmal.
(Welt.Sichten 9-2011, S.63)

Früh am nächsten Morgen fand ihn ein Schäfer und zeigte ihm die Straße, die durch den Wald zum »Dorf der Afrikaner« führt, wie der Ort von den Bewohnern genannt wurde. Von hier war es nicht weit zum Drahtgeflecht, das die spanische Enklave von Marokko abtrennt. Unterwegs stieß er auf eine Gruppe Subsaharier, die aus dem Wald in Richtung Stadt rannten und ihm zuriefen, dass die Polizei ihnen auf den Fersen sei. Er rannte hinter ihnen her bis zu einem Ort, der »Tranquillo« genannt wurde. Dort blieb er fast zwei Stunden versteckt und war schon bald eingeschlafen. Als er nach der Razzia aufwachte, war er allein und wusste nicht, wohin er gehen sollte, fand aber schließlich zurück auf den Weg zum Wald. Die erste Gruppe, die er antraf, waren Kameruner, die rund um ein Lagerfeuer saßen. Alle waren schockiert, dass er zu Fuß den ganzen Weg von Fnideq über Rabat bis hierher gekommen war. Ein Landsmann anerbot sich, die Ghettogebühr für ihn zu bezahlen. Sie wiesen ihm den Schlafplatz eines Mannes zu, dem es am Vortag gelungen war, nach Ceuta hineinzukommen. Fabien verbrachte vier Tage ohne aufstehen zu können. Als er wieder bei Kräften war, machte er mit allen seinen Landsleuten Bekanntschaft.
Die Ghettos erstreckten sich über den Abhang eines Hügels mit wechselförmigem Relief. Die Nigerianer waren ganz oben, dann kamen die Kameruner und die Kongolesen. Etwas weiter unten die Guineer und ein Teil der malischen Gemeinschaft, getrennt vom Rest dieser großen Gemeinschaft, die sich über den ganzen anderen Flanke des Hügels ausdehnte. Es war eine regelrechte Zufluchtsstadt junger Afrikaner.