»Das Leben ist kein Spaziergang« heißt es in einer der Erzählungen Delphine Blumenfelds. Ihre Erzählungen und Lieder berichten von existenziellen Nöten und zeugen von der Enge der Provinz.
Delphine Blumenfeld macht dies mit großer sprachlicher und mit feiner Ironie durchzogener Eleganz. Lakonisch werden die Dinge des Lebens aus der Sicht eines im Abseits stehenden Ichs verhandelt und teils lyrisch zur Sprache gebracht, ganz in dem Sinne von »das Schönste aber war der Moment, als sich der Schleier von den Dingen hob und wir die Welt und einander mit allen Sinnen neu erfassen konnten.« Delphine Blumenfelds Kurzgeschichten und Lieder entwickeln einen Sog, dem sich die Leserin und der Leser kaum entziehen können. Ein Lesevergnügen der ganz besonderen Art.

Erzählungen und Lieder

Ich höre dich flüstern: erzähl unsere Geschichte, unsere Geschichte

Delphine Blumenfeld (Christiane Janach), geboren 1961 in Klagenfurt. Literarischer Förderungspreis des Landes Kärnten 1988, Mund-art-Literaturpreis 1994 (in der Jury H. C. Artmann, der Janachs Gedichte der Weltliteratur zurechnete). Abgesehen von Einzelpublikationen in verschiedenen Zeitschriften erschienen bisher drei Bücher: Der Clown mit dem Spiegel (1987), seesterngedichte (bibliophiler Sonderdruck, 1996) und schneeläufer / pušcavske rože (2000).

Mein Name ist Luci Blum.
Ich bin 43, und lebe in einem Bauwagen.
Nicht ganz freiwillig. Aber es sind meine 4 Wände, genauer genommen 6, wenn man Fußboden und Decke dazuzählt. Das sollte man. Es gibt nicht nur Wände an jeder Seite, sondern auch die Wände oben und unten. Die Wand oben verstellt mir die Sonne, den Mond und die Sterne, aber sie schützt mich vor Regen. Die Wand unter mir besteht aus ein paar roh zusammengezimmerten Brettern und soll darüber hinwegtäuschen, wie tief der Abgrund letztendlich ist, und wie dünn die brüchige Lavaschicht.
Dieser Bauwagen ist alles, was ich mir derzeit leisten kann, 100 Euro Miete im Monat, zuzüglich Betriebskosten, Wasser und ein wenig Strom aus dem Nebengebäude, die ich nur selten bezahlen kann. Ich habe eine Glühbirne, angeschlossen an eine Kabeltrommel, so kann ich lesen, oder Musik hören, jeweils eins von beidem. Meist verwende ich Kerzen, oder wenn ich es mir leisten kann, wärmendes Gaslicht.
Auf meinem wackligen Tisch steht ein Bergkristall. Mein einziger Luxus. Ihn würde ich niemals hergeben, nicht kampflos. Er ist etwa so groß wie meine Handfläche bis zum Ende der Fingerkuppen, durchzogen mit milchigweißen Adern und glitzernden Bruchstellen. Wenn man ihn gegen das Licht hält, sieht er aus, als wüchsen darin Bäume und Sträucher, verästelt, vor einem schneebedecktem Berg, über den der Wind weht. Ein schneeumwehter, kleiner Berg aus Milch. An den Bruchstellen, unter der Oberfläche, die scharf und kantig sind, fängt er das Licht, und bricht es in Regenbogenfarben. Regenbogen gibt es nur entlang der Bruchstellen, die scharf sind, wie Glasscherben. An den Stellen, wo keine Milch ist, kein Berg, keine Äste und keine Bruchstellen, ist er durchsichtig, wie Glas.
Wenn ich kein Geld habe, hole ich Kerzen vom Friedhof. Ich steige nachts über die Mauer, und pflücke die noch nicht abgebrannten Kerzen von den Gräbern.Dabei bitte ich die Toten, mir zu verzeihen. In der Regel tun sie es.