Lakonisch, mit sparsamem Strich und sprödem Humor skizziert Maruša Krese ihre Weihnachtsgeschichten, die eigentlich keine sind. Eher Erinnerungen an verpasste und verpatzte Feiern. Zwischenstationen eines unsteten Lebens: auf einer Autobahntankstelle irgendwo zwischen Berlin und Ljubljana, in der tief verschneiten amerikanischen Provinz, im Flugzeug hoch über dem Pazifik oder im belagerten Sarajevo, in dem das nächtliche Feuerwerk der Granatwerfer an Silvester gemahnt. Als verheiratete und als geschiedene Frau, als allein erziehende Mutter und als das Kind, das sie einst war, spricht Maruša Krese offen von sich und gerade deshalb für viele.
Weihnachten: Blicke zurück in Trauer und Zorn, aber auch Momente eines flüchtigen, fast hypothetischen Glücks.
Maruša Krese, geboren 1947 in Ljubljana; Studium der Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Psychotherapie in Slowenien, den USA, Großbritannien und den Niederlanden. Von 1975 bis 1990 Psychotherapeutin in Ljubljana, London und Tübingen. Lebt seit 1990 als freie Journalistin und Schriftstellerin in Berlin. In deutscher Übersetzung: Lyrikbände (u. a. bei Suhrkamp), Essays, Hörspiele, Features, Briefwechsel. Im Drava Verlag erschienen bisher drei Gedichtbände in slowenischer Sprache sowie der Prosatext Von der Bora verweht (1998).
... Marusa Krese hat ein Weihnachtstagebuch geführt, das erzählt von ihrem leidenschaftlichen Kampf um das heilige Fest, das jedes Jahr zur Tragikomödie wird ... (Iris Radisch, Die Zeit)
... Gegenwart und Kindheitserinnerungen fließen in der kurzen Texten des Buches ineinander. Die Zeiten des jugoslawischen Kommunismus brechen sich in den Jahren, die in westeuropäischen Städten oder in Amerika verbracht werden. Wie eine Flucht oder eine Herbergssuche wirkt der häufige Wechsel des Ortes. Die mit der Familie im Flugzeug oder auf Autobahnen verbrachten Weihnachten werden als signifikantes Nirgendwo erlebt ... (Paul Jandl, NZZ)
... Wenn sich in den Wohnzimmern im alten Europa alles festlich zurüstet und das Offenbarungsereignis der Heiligen Familie beschworen wird, bekommt die zwischen Berlin und Ljubljana pendelnde 'postjugoslawische Nomadin' keine Luft mehr ... (Michael Braun, Freitag)
Gottlose Mutter. Was machen wir Weihnachten? Was haben wir letztes Jahr gemacht und was vor drei Jahren und was, als die Kinder klein waren: Die slowenische Autorin Maruša Krese hat ein Weihnachtstagebuch geführt, das erzählt von ihrem leidenschaftlichen, oft vergeblich geführtem Kampf um das heilige Fest, das jedes Jahr zur Tragikomödie wird. … (Iris Radisch, Die Zeit)
Die sanft traurigen Texte Maruša Kreses aber haben ihren Ort in einer unsentimentalen Sprache, die von privater Verklärung ebenso entfernt ist wie von allen Heilserwartungen … (Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung)
Bei all der Leichtigkeit und ironischen Lakonie solcher Momente und bei allem Spott über die Fest-Hysterie ist in den Weihnachtsminiaturen Maruša Kreses doch immer eine Sehnsucht spürbar – eine Sehnsucht, dass ein spiriuelles Geheimnis erfahrbar sein möge an jenem lebensweltlich doch meistens un-heiligen Abend … (Michael Braun, Freitag)
Lieber Himmel, wohin hat es mich verschlagen. Ich laufe Ana durch den Schnee hinterher. Ana trägt den Kaninchenpelz, den ihr meine Mutter in Ljubljana geschenkt hat und ich einen Heilsarmeemantel aus Chicago. Ich kann es kaum erwarten, nach Ljubljana zurückzukommen, um ihn herumzuzeigen. Auf Vietnam fallen Bomben, ich backe Kekse für den Weihnachtsbaum und zum Verschenken. Vom Herbst ist noch viel Marmelade übrig, denn ich hatte Kopfschmerzen gehabt, deren Ursache die Ärzte nicht hatten finden können, weshalb sie mir die Adern mit Morphium vollpumpten. Und so verlor ich das Gefühl für Mengen, zumindest was Marmeladegläser anbelangt. Wahrscheinlich auch für anderes, doch bei der Marmelade sieht man es am deutlichsten. Also kann ich auch sie verschenken. Im Ausverkauf habe ich ein Fisher Price-Radio aus Plastik ergattert, das genauso viel gekostet hat, wie ich fürs Hausputzen bekommen habe, oder anders gesagt, als Entgelt für meine Live Art. Die einzige Kunstgattung, die ich nie verstanden habe, ist die Lyrik, und deshalb habe ich wahrscheinlich einen Dichter geheiratet. Aber mir wäre nicht einmal im Traum eingefallen, dass ich dadurch zum öffentlichen Gut verkommen, dass ich praktisch jeden meiner Schmerzen, jedes Lachen und jedes Geheimnis schwarz auf weiß gedruckt wieder finden würde.
Ich stapfe mit Ana durch den Tiefschnee. »Ist das nicht schön?«, lacht sie. Der Schnee ist schön, der Schnee ist weiß, doch der Sand in der Wüste, das Meer an ihrem Rand … Was in aller Welt hat mich nur unter die amerikanischen Bauern verschlagen. Die Sehnsucht nach Höherem, Anderem, Heiligem. Noch einige Zeit hier, und ich kann eine Kuh nicht mehr von einem Schwein unterscheiden. Ich friere. »Mama, wann wird es Zeit für Weihnachten?«, kommt Ana mit einer rotzigen Nase ins Haus gelaufen. Wir trinken Tee und warten auf ein Wunder. Das Telefon läutet. Der Dichter ruft aus San Francisco an. »Frohe Weihnachten, meine Lieben. Morgen komme ich mit meinem Lover.« – »Was zum Teufel habe ich mit Weihnachten zu schaffen!« Ich lege auf und Ana schreit: »I want my daddy! I want my daddy!« Aus dem Zimmer bringe ich ihr Janovs The Primal Scream, das ich von einer Freundin zum Geburtstag bekommen habe.
»I want my daddy, I want my mummy!« – »Ana, aus diesem Buch kannst du Schiffe und Flugzeuge basteln«, sage ich ihr und drücke ihr die Psycholektüre in die Hand. »I want my daddy«, schreit sie ungerührt weiter.