Überraschende und teilweise atemberaubende Geschichten über Sprachenlernen, über die plötzliche Entdeckung der Liebe zu ihnen, aber auch darüber, dass es nach 2000 Unterrichtsstunden immer noch unmöglich ist, einen Satz in der Zweitsprache zu formulieren, der vom Gegenüber überhaupt erkannt wird.
Meist wird mit Freude am Lernprozess begonnen, manchmal auch mit Gleichgültigkeit oder Ablehnung –, gemeinsam ist den siebzehn reden-Geschichten, dass irgendwann Klüfte aufbrechen, in den Sprachen selbst, in den individuellen Erfolgsansprüchen, den Überforderungen, den mehr oder weniger objektiven Gegebenheiten, in den Freundschaften und der Toleranz.
Oftmals erweisen sich, kaum sind Staats- oder auch nur Landesgrenzen überschritten, festgefahrene Vorurteile von Deutschen und Italienern als nahezu lächerliche Vorstellungen, alles gelingt plötzlich leichter, es fließt, es redet! Liegen Versagen oder Gelingen also am System und nicht am Einzelnen? Wo liegen Ursachen und Wirkungen dafür? In der Schule, im Schüler? Diese Fragen werden nicht beantwortet, aber Erfahrungen und Erlebnisse damit angezeigt.

Siebzehn Sprechgeschichten aus Südtirol

Ein Buch über Liebe und Leid, über Schrecken und Schauder, über Frust und Versagen, über Zweifel und Erkenntnis beim Spracherwerb.

Toni Colleselli ist Publizist und Übersetzer. In den sechziger Jahren im Pustertal aufgewachsen, lebt er seit 1970 mit Unterbrechungen in Bozen/Südtirol/Italien. Dort hat er an zahlreichen Kultur- und Bildungsinitiativen mitgewirkt: Südtiroler Kulturzentrum, Zelig – Schule für Dokumentarfilm, Fernsehen und neue Medien, Alpha Beta – Sprachschule, BoBo – Veranstaltungskalender für Bozen und Meran.
Unter anderem hat er bei Alpha Beta gemeinsam mit anderen didaktische Materialien zum Hörverständnis der Südtiroler Umgangssprache veröftfentlicht.

Die neunte Geschichte
erzählt vom Wollen, vom Können und vom Wünschen

In Südtirol ist das mit der Sprache immer so eine komplizierte Sache. Im Grund redet man eigentlich nie richtig. Denn jeder redet anders. In jedem Tal, ja fast schon in jedem Dorf redet man eine andere Sprache. Und jeder behauptet von sich, die schönste, wenn nicht sogar die einzig wahre zu sprechen. Dauernd hört man jemanden lamentieren: »Wie redet der denn? Den versteht man ja gar nicht!« Jeder ist stolz auf seine Sprache und alle finden die Sprache der anderen komisch. Das ist fast schon ein Wettkampf. Wer weiß, ob die Tschöggl aus dem Vinschgau sich mit den gleichgesinnten Patrioten aus dem Ahrntal eigentlich verständigen können? Oder würden sie streiten, wer eigentlich richtig tirolerisch redet?
Dann kommt noch das Hochdeutsche dazu, das man in der Schule lernt und dort gebrauchen soll. Aber nur dort. Denn wenn man sich bemüht, diese komplizierte Sprache zu lernen und sie dann zufällig auch im Gespräch mit dem Nachbarn verwendet, dann wird das als eine Art Überheblichkeit ausgelegt und man gehört einfach nicht mehr dazu. Man wird etwas richtig Verwerfliches, ein Gscherter. Alle pochen drauf, dass man dieses Hochdeutsch lernt, aber anwenden darf man es auf keinen Fall. Nur in der Schule und – in einer etwas aufgeweichten Form, damit man der Folklore noch gerecht wird – mit den Touristen. Auch im Fernsehen ist es schon lange nicht mehr notwendig. Da gebrauchen es nur noch die Italiener, die deutsch sprechen müssen oder wollen.
Mit dem Italienisch ist es genau gleich. In der Schule muss man es können, bei der Zweisprachigkeitsprüfung auch, aber sonst wäre besser, es nicht allzu oft zu gebrauchen. Falls einem dann doch ein Wort rausrutscht, ist man gleich ein Snob und spricht irgendeinen städtischen Slang. Und mit dem Englischen wird es genauso kommen. Der erste, der zum Flohmarkt Vintage sagen wird, wird wahrscheinlich des Landes verwiesen. Können muss man es aber. Sonst wäre man ja nicht auf der Höhe der Zeit, Up2Date.
Die Sprache ist in Südtirol wirklich eine komplizierte Sache. Man redet viel zu wenig darüber.