Nach dem 1994 erschienenen Buch »Vor dem Ziel«, das nicht zuletzt dank der bemerkenswerten Übersetzung große Resonanz gefunden hat, beinhaltet »Pavliceks Krone« zwölf weitere literarische Skizzen, die, entstanden zwischen 1900 und 1914, in den verelendeten Vorstädten Wiens angesiedelt sind.

Literarische Skizzen aus Wien

(Bd. 2 der Cankar Werkausgabe)

Ivan Cankar, geb. 1876 in Vrhnika (Slowenien), ging 1896 nach Wien, um Technik zu studieren, gab sein Studium aber bald zugunsten des Schreibens auf. Als freier Schriftsteller lebte er zeitweilig in Slowenien, zeitweilig in Wien-Ottakring. Zeit seines Lebens Außenseiter, starb er 1918 in Ljubljana. Cankar ist der bedeutendste Vertreter der slowenischen Moderne, sein Gesamtwerk umfasst 30 Bände.

... Cankars Lakonik, poetisch und kraftvoll, zielt in medias res. Sie verkörpert Mitleid ohne Larmoyanz, Kritik ohne Penetranz. Nur gleichgültig läßt sie nicht ... (Ilma Rakusa, Neue Zürcher Zeitung)

Der liederlichste, verworfenste Mensch von der Welt ist der Novellist. Er hat gesündigt, er hat ein Verbrechen begangen, gemein und hinterrücks, das so alltägliche Verbrechen nämlich, heimlich mit der Stecknadel einen Menschen erstochen und gemordet zu haben, statt ihn im ehrlichen Kampf mit einem Schwerthieb niederzustrecken. Hierauf geht er weder zum Beichtvater noch zum Richter, bestreut er nicht sein Haupt mit Asche, zieht nicht die Mönchskutte an, sondern er setzt sich in aller Hergottsruhe und schreibt eine Novelle. Er zieht durch die Welt, speit ehrlichen Leuten Gift aufs Herz und sagt, er »suche Stoffe«. Die treuen, lichtblauen Augen, die ihn, den Verräter, so rein und zutraulich ansehen wie zwei himmlische Engel – Stoff! Die ergebenen Lippen, von Wärme und Liebe erfüllt, die er schmatzend küsste, als er hinter stillen Lidern woanders hinschaute – Stoff! Das Wort, das er absichtlich so erdacht und gesetzt hatte, um zu sehen, wie groß und welcher Art dieser Schmerz in den Augen und auf den Wangen sein würde – Stoff.