»Lebenslauf eines Idealisten« – so nennt Ivan Cankar seinen Anfang 1907 erschienenen Roman Martin Kacur im Untertitel mit sarkastischem Unterton. Ein junger, liberaler Lehrer, der wegen seiner politischen Gesinnung versetzt worden ist, beginnt auch an seinem neuen Dienstort aufklärerisch zu wirken. Von den Kollegen im Stich gelassen, muss er bald erkennen, dass er gegen die Autorität des Pfarrers nicht ankommt. Eine zur Gründung eines Volksbildungsvereins einberufene Versammlung endet mit einer allgemeinen Prügelei und bietet den Vorwand für Kacurs neuerliche Versetzung. Er wird Lehrer in Blatni dol, einem »Schlammloch«, dessen Einsamkeit er durch die Ehe mit der Wirtstochter zu entgehen versucht. Kacur hat nicht die Kraft, in diesem Umfeld zu bestehen, und wird zum Trinker. Als er nach mehr als zehn Jahren endlich in ein lichteres Dorf versetzt wird, trifft er seine alten Kollegen wieder, die sich inzwischen zu Vordenkern der Freiheit gemausert haben und ihn, den an Leib und Seele Gealterten, als Klerikalen verspotten. Kacur, den seine Frau vor aller Augen betrügt und dessen Kinder sich von ihm distanzieren, begehrt ein letztes Mal verzweifelt gegen den Opportunismus auf …
Dieser großartige Roman, der 1986 in Italien als einer von hundert repräsentativen Romanen der Weltliteratur gewürdigt wurde, liegt nun in der Neuübersetzung von Erwin Köstler vor. Die von Fulvio Tomizza dramatisierte Fassung wurde 1984/85 am Wiener Volkstheater uraufgeführt.

Lebenslauf eines Idealisten

Ein repräsentativer Roman der Weltliteratur, neu übersetzt von Erwin Köstler.

Ivan Cankar (1876–1918) lebte als freier Schriftsteller in Slowenien und Wien-Ottakring. Er ist der bedeutendste Vertreter der slowenischen Moderne. Sein Gesamtwerk umfasst 30 Bände.

... Es gibt nicht viele literarische Werke, die in nur fünf Wochen niedergeschrieben werden und sich genau einhundert Jahre später noch so frisch und rau lesen wie am ersten Tag ... Cankar verbindet vollständige Desillusion und psychische Präsung, soziale anklage und tödliche Ausweglosigkeit zu archaischen Bildern einer umfassenden Zerrüttung ... (Jörg Plath, Neue Zürcher Zeitung)

Zum Glück Kacurs und zum Nutzen der slowenischen Moral und Eintracht starb im Feber vor Langeweile der Lehrer in Blatni dol, und Kacur zog mit seinen Siebensachen dorthin. Das Dorf war lang und groß, doch so finster und schmutzig, wie Kacur noch keines gesehen hatte. Auf den Straßen von Blatni dol stand der Schlamm in weiten Seen, während die Sonne die ganze übrige Welt beschien. Es lag tief eingekesselt, von allen Seiten von Hügeln bewacht, die mit niedrigem Buschwerk bewachsen und so finster und öde waren wie das Dorf.
»Wer ist auf die Idee gekommen, sich in dieser Ödnis niederzulassen?« wunderte sich Kacur. »Es müssen Schmuggler gewesen sein, Deserteure, Wilderer und Banditen!«
Als er zwischen den Häusern ging, sah er jemanden, der hinter der Kirche Mist schichtete. Es war ein stämmiger alter Mann mit breitem, braungebranntem Gesicht, buschigen silbernen Brauen, auf den unrasierten Wangen ein graues Stoppelfeld; er trug ein leinenes, schmutziges Hemd und eine Weste aus grobem Tuch; die Hose hatte er kniehoch aufgestülpt, die Füße in Sackleinen eingebunden. Kacur erblickte ein Kollar unterm Hals des Alten und wunderte sich.
»Wer sind denn Sie?« drehte der Alte sich um.
»Ich bin der Lehrer; ich bin gestern Nacht angekommen.«
»Und ich bin der Pfarrer!«
Als er zwischen den Häusern ging, sah er jemanden, der hinter der Kirche Mist schichtete. Es war ein stämmiger alter Mann mit breitem, braungebranntem Gesicht, buschigen silbernen Brauen, auf den unrasierten Wangen ein graues Stoppelfeld; er trug ein leinenes, schmutziges Hemd und eine Weste aus grobem Tuch; die Hose hatte er kniehoch aufgestülpt, die Füße in Sackleinen eingebunden. Kacur erblickte ein Kollar unterm Hals des Alten und wunderte sich.
»Wer sind denn Sie?« drehte der Alte sich um.
»Ich bin der Lehrer; ich bin gestern Nacht angekommen.«
»Und ich bin der Pfarrer!«
Er schaufelte weiter und nahm keine Notiz mehr von ihm. Kacur wunderte sich und ging.
»Ist morgen nicht Sonntag?« rief ihm der Pfarrer nach.
»Ja!«
»Kommen Sie zu Mittag zu mir!« –
Kacur quartierte sich in der Schule ein, einer unfreundlichen, strohgedeckten Bauernhütte nahe der Kirche. Im Hausgang, in seiner Stube und im Klassenzimmer stank es nach Stall. Als er eintrat, sah er im Hausgang ein langes, mageres Weib mit hoch geschürztem Rock, das eine Birkenrute schwingend hinter einem zerlumpten Lausbuben hertobte; sie verschwanden beide sogleich durch die Stalltür, und Kacur hörte noch von weitem Geschrei und Gezeter.
Er warf einen Blick in das Schulzimmer und erschrak. Es war eine lange, niedrige Stube, in der Mitte standen ein paar wurmstichige, verschnitzte und mit Tinte beschüttete Bänke, davor ein grob behauener Tisch mit einem kurzen und drei langen Beinen, und dahinter ein Stuhl, der einst nobel war, aus dem aber jetzt das Stroh stand. Die Wände waren schwarz und feucht; über dem Tisch hing das Bild des Kaisers, doch weil im Winter der Ofen rauchte, war das Bild so mit Ruß überzogen, dass darunter in großen Buchstaben stand: »Bild Franz Josephs I.«