Jede Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur wird stets von der Gefahr begleitet, dem exotisierenden Blick zu erliegen. Im Fall von Marokko und Marrakesch geschieht das umso leichter, da sich in das eigene Erleben das Vorwissen um die Sichtweisen anderer Europäer mischt, die das Land bereist und es nach ihren Vorstellungen als Repräsentation des Fremden konstruiert haben. Doch radikal anders als Elias Canetti, der die vorgefundene Welt Marrakeschs in eine meisterhaft und daher so einprägsam gestaltete Folie verwandelt, gibt Michael Fisch, soweit es irgendwie geht, die kulturelle Distanz auf, lässt sich rückhaltlos auf das Vorgefundene ein.
Zwischen drei Polen changiert der Roman "Khamsa oder Das Wasser des Lebens": zwischen der Erzähl- und Handlungsebene, der Reflexionsebene (auf das, was einmal war) und der Chronikebene (die auflistet, was kommen wird). Im Mittelpunkt steht das erzählende Ich, welches die Ebenen - in fünfzig Kapiteln - bis zu seiner Abreise miteinander verknüpft. Neben drastische Homosexueller Begierde, deren Heftigkeit an Jean Genet erinnert, treten zeitpolitische Bezüge oder Reflexionen zu Roland Barth, Michael Foucault, Hubert Fichte. Eine Deutung und Bewertung des Beschriebenen wird nicht angestrebt, zu sehr ist der Roman in seiner Vielstimmigkeit den Grundsätzen des Nouveau Roman verpflichtet.

Roman

Mir geht es darum, die Trennung von Literatur und Wissenschaft aufzuheben...Poesie ist Wissenschaft. Wissenschaft wird Poesie.

Michael Fisch, geboren 1964 in Gerolstein/Eifel; nach dem Abitur 1984 Ausbildung zum Buchhändler, ab 1988 Studium der Germanistik und Philosophie in Wuppertal und berlin, 1994 MA und 1999 Promotion an der Freien Universität Berlin. Projektleitung in der literaturWERKstatt Berlin (1999-2000). Danach Marketingleitung in der Verlagsbranche, zeitgleich Lehraufträge an den Universitäten Hamburg und Berlin; Habilitationsprojekt an der Freien Universität Berlin. Seit November 2008 DAAD-Lektor an der Universite de la Manouba in Tunis. Veröffentlichte bisher vier Gedicht- und zwei Erzählbände.

Drastisch geschilderte Szenen ausschweifender Sex-Eskapaden stehen mitunter unvermittelt neben klugen Reflexionen über das arabische Männerbild, käuflicher Sex und die unvermeidlichen kulturellen Widersprüche. Am eindrücklichsten ist dies gerade dann, wenn das romantisierte Bild des konsumorientierten Sextouristen mit der Lebenswirklichkeit der Einheimischen kollidiert. (hinnerk - Hamburgs schwules Stadtmagazin 12/10)

Keine leichte, aber eine lohnende Lektüre (Gottfried Lorenz, zit.nach gay-and-lesbianbooks.de)

Zwei alte Berber in sauberer und weißer Djellaba und mit einem turbanähnlichen Gebilde auf dem Kopf sangen und tanzten, klatschten in die Hände und stampften mit ihren gelben Babouches auf die Erde. Einer unterbrach plötzlich seinen Gesang und rief laut »Yu-Yu«, wobei er die Hüfte schwenkte wie ein junger Mann. Eine derartige Verhöhnung des Alters hatte ich zuvor nicht gesehen. Diese greisen Berber tanzten und sprangen wie junge Götter und verhöhnten den Tod. Provoziert der Tod etwa nicht das Leben selbst? Die Berber hatten eine Antwort auf diese Frage.