Nach den »Literarischen Skizzen aus Wien« (»Vor dem Ziel«, 1994; »Pavliceks Krone«, 1995) erscheint nun Ivan Cankars großer Roman, dessen Schauplatz das Wien der Jahrhundertwende ist, konkret das »Haus der Barmherzigkeit« im 18. Bezirk. In einem der Zimmer siechen vierzehn unheilbar kranke Mädchen dem Tod entgegen. Cankars soziales Engagement und seine künstlerische Vision lassen ein sprachliches Kunstwerk entstehen, das den Leser kraft der Magie des Wortes in seinen Bann zieht und zeigt, dass die Würde des Menschen auch am äußersten Rand seiner Existenz unantastbar ist.
Bei seinem Erscheinen (1904) lehnte die slowenische Kritik das Buch wegen seiner tabubrechenden Offenheit und seines angeblich pornographischen Inhalts erbittert ab.
Erste vollständige (nicht zensurierte) Ausgabe in deutscher Sprache in der hervorragenden Neuübersetzung von Erwin Köstler.

Roman

(Bd. 3 der Cankar Werkausgabe)

Ein literarisches Denkmal den Schutzlosen und Missbrauchten – von tragischer und erschütternder Schönheit.

Ivan Cankar, (1876–1918) lebte als freier Schriftsteller in Slowenien und in Wien-Ottakring. Er ist der bedeutendste Vetrteter der slowenischen Moderne. Sein Gesamtwerk umfasst 30 Bände.

... Dass das Buch jetzt unzensuriert, in einer exzellenten Übersetzung deutschsprachigen Lesern zugänglich gemacht wird, hat auch Folgen für die Literaturgeschichte der Donaumonarchie: Noch nie wurde das Fehlen eines Kapitels über die nicht-deutschsprachige Moderne so schmerzlich bewusst ... (Harald Klauhs, Spectrum/Die Presse)

... Ebenso karg und subtil, wie er die Biographien der Kinder beschreibt, bringt Cankar dem Leser auch seine Kritik am Sozialsystem und an einer verlogenen kirchlichen Todesverehrung nahe ... (Petra Carola Biermeier, Die Furche)

... ist es Erwin Köstler vorzüglich gelungen, in seinen Übersetzungen die spezifische Sprachmelodie der slowenischen Originaltexte zu bewahren und Cankars Prosa als das zu präsentieren, was sie ihrem Rang nach sind: kein bloßes Sozialdokument aus dem Wien der Jahrhundertwende, sondern Weltliteratur ... (Stefan Simonek, Literatur und Kritik)

... Wiens dunkle Seiten - die deutsche Entdeckung des Slowenen Ivan Cankar ... (Werner Fuld, Focus)

... Leise schloss sich das große eiserne Tor; im düsteren Gang, auf den kalten Wänden leuchtete einen Lidschlag lang die Herbstsonne. Hinter einer Glastür, im Zimmer der Pförtnerin, brannte ein rotes Licht mit langer, ruhiger Flamme; über der Lampe war ein Kreuz an die Wand geschlagen mit dem nackten, ganz blutigen Körper des gekreuzigten Christus, der noch nicht sein Haupt gesenkt hatte und aus großen ruhigen Augen blickte. Malci erbebte im Arm ihrer Mutter und bekreuzigte sich.
Aus der gläsernen Tür trat die Pförtnerin, eine junge, hinkende Frau. Sie lächelte, wie man in Klöstern lächelt, ein kühles, unfrohes Lächeln.
»Gelobt sei Jesus Christus! Gehen Sie nach oben, immer nach links, in den zweiten Stock und den Gang entlang; über der Tür steht: Zimmer der Heiligen Agnes.«
Sie gingen weiter; Malci umschlang den Hals der Mutter und lehnte mit dem Leib an ihrer Brust. Die Gänge waren leer, düster, die Schritte hallten von weitem um sie, als kämen und gingen Unsichtbare ...