Das Reden über Werte hat Hochkonjunktur. Prominente und Parteien überbieten sich mit dem Versprechen, dass eine Neuorientierung an ihrer jeweils verkündeten Werteliste die Gesellschaft verbessern würde. Übersehen wird dabei, dass die kapitalistische Ökonomie eine systematisch widersprüchliche Wertewelt produziert, der das Individuum schwer entrinnen kann. Erfolgreiches Austricksen des Anderen steht neben dem Wunsch nach Ehrlichkeit, Asketismus steht neben Konsumismus, Kollegialität steht neben Karriereorientierung, Selbstfürsorgliche Job-Distanz neben dem »Brennen für die Firma«, ein Leben »ganz ohne Bindung« neben der Sehnsucht nach Bindung. Das ist der Hintergrund, vor dem Authentizitätsdarsteller und »Überzeugungssimulatoren« (Richard David Precht), die eine neue Eindeutigkeit und Glaubwürdigkeit versprechen, immer wieder ein Publikum finden. Der Psychologe Klaus Ottomeyer bleibt nicht bei der Kritik stehen, sondern entwirft – mit gebotener Vorsicht – eine im Alltag lebbare Orientierung an Werten, die mit den Tätigkeiten des Arbeitens, Liebens und Kämpfens verbunden sind.

Wertegeschwätz und Werteproblem im Kapitalismus

Klaus Ottomeyer, geb. 1949 in Frankfurt am Main, ist Psychotherapeut, Psychologe und Sozialwissenschaftler.
Er war von 1983 bis 2013 Professor am Psychologischen Institut der Universität Klagenfurt und ist als Obmann und Traumatherapeut in der Kärntner Einrichtung Aspis. Forschungs- und Beratungszentrum für Opfer von Gewalt tätig, die psychosoziale Hilfe für Flüchtlinge und Opfer des NS-Terrors anbietet. Zahlreiche Veröffentlichungen u. a. im Drava Verlag.