Reisefreiheit, kulturelle Vielfalt, Autonomie der Kulturszene und nicht zuletzt Rock ’n’ Roll – das schien für die heutige Generation 50+ in?Titos Jugoslawien das große Versprechen der Weltzugehörigkeit zu sein. Das Lebensgefühl der damaligen Protagonisten war eine Mischung aus Zuversicht, Übermut und Rebellion. Der beste Ausdruck dieses Lebensgefühls waren sicherlich die Rockmusik und die Lyrik – insbesondere die frühe Lyrik von Zvonko Karanovic. Die urbane Abwendung von jeglicher Provinzialität wurde vollzogen, programmatisch und praktisch, in der Lyrik und im Lebensstil.
Danach kam die Ernüchterung – im zerfallenden Land organisierten sich politisch und kulturell die Mehrheiten um die rückwärtsgewandten Utopien – die große Zukunft lag für sie in der ruhmreichen, ethnisch definierten Vergangenheit. Zvonko Karanovic lehnte es ab, in diesem Massenchor mitzusingen, und folgte seiner eigenen Stimme. So blieb seine Lyrik im Jahrzehnt der Zerfallkriege notgedrungen marginalisiert. Er blieb ein Weltbürger aus Niš, der seine Seelenverwandtschaft mit Leuten wie Jack Kerouac oder Allen Ginsberg, Ralf Dieter Brinkmann oder Luis Buñuel, David Lynch oder Leonard Cohen offen zeigt.
Das Publikum liebte diese Lyrik, die jüngeren, urbanen Leser erkannten sie in allen Ländern, wo man serbisch versteht, auch in Kroatien, als eigene verdrängte Stimme jenseits des Massengeschmacks.
Die Randstellung war nicht angenehm, aber sie erleichterte es dem Lyriker, die Haltung der Unangepasstheit in seinen Versen zu bewahren.
In seine Tonlage hat sich zwar zunehmend der Blues eingeschlichen, denn auch die neuen Demokraten haben das geschundene Land nicht in die goldene Ära geführt, doch die Vitalität und die Konsequenz seiner Lyrik blieb konstant: nach wie vor postmodern angehaucht, kommunikativ und weltoffen.
Zunehmendes Interesse an seiner Lyrik in New York, London oder Kiew zeigt, dass die Welt einen serbischen Weltbürger allmählich nach Hause holt.

Ausgewählte Gedichte

Serbischer Weltbürger mit der Seele eines Baßgitarristen.

Zvonko Karanovic, wurde 1959 in Niš geboren und lebt in Beograd. Er ist Lyriker und Prosaschriftsteller. Er absolvierte das Maschinenbaustudium, arbeitete als Journalist, Redakteur, DJ und Konzertveranstalter und besaß 13 Jahre einen Musikladen.
Seine Lyrik wurde in zehn europäische Sprachen übersetzt und ist in der Anthologie New European Poets (USA, Minnesota, 2008) vertreten.
Seit 1990 veröffentlichte er zehn Gedichtbände und drei Romane.

Seine hochemotionalen Momentaufnahmen mit Blues -Tönen spiegeln das Lebensgefühl der Menschen in Osteuropa treffend wieder. (Kai Mühleck, Börsenblatt 11/2013)

Dream No 33
Deine Tochter wird Salome heißen
sie wird schwarze Augen haben
unersättlich wie der Hunger
das Brautkleid aus Eidechsenhaut
eine Haarsträhne deines Liebhabers
sie wird hellseherisch sein
sie wird den Tod im Flugzeug auf der Linie
Oslo-Kandahar wählen
dein Sohn wird Sebastian heißen
er wird in seine Schwester
verliebt sein
er wird den Zauberberg finden
die Wiege & das Kaleidoskop
das geheime Tagebuch der Salome
wird er als die neue Bibel
drucken lassen
er wird dich im Rollstuhl schieben
in der goldenen Dämmerung
des Sanatoriums
du wirst die schwarze Seide
bis zum Ende des Lebens
nicht ablegen
und der Wind wird
deine einzige Gesellschaft sein
dein einziger Trost